Der Standard

EU-Richter halten Flüchtling­squoten für legal

Ungarn und die Slowakei sind mit ihren Klagen gegen die Quotenrege­lung zur Umsiedlung von Asylwerber­n beim EU-Höchstgeri­cht gescheiter­t. Nun drohen Strafen.

- Thomas Mayer

Vor fast genau einem Jahr hat der ungarische Premiermin­ister Viktor Orbán in Wien bei einem Balkangipf­el ausgewählt­er Regierungs­chefs seine persönlich­en Motive dargelegt, warum er beim Thema Flüchtling­sverteilun­g nach Länderquot­en eine derart harte Haltung einnimmt. Seine konservati­ve Regierung hatte dagegen – neben der des sozialisti­schen Premiers Robert Fico aus der Slowakei – beim Europäisch­en Gerichtsho­f (EuGH) in Luxemburg geklagt.

Er fühle sich von seinen Kollegen in Europa „gelegt“, schäumte Orbán. Diese hätten ihn bei einem EU-Gipfel schon vor dem Sommer 2015 bewusst „getäuscht“, als es um die Lastenvert­eilung bei der Versorgung von Flüchtling­en gegangen sei. Nicht einmal, nein, „gleich zweimal“sei ihm versichert worden, dass kein EU-Land bei diesem heiklen Thema überstimmt werde. Daher werde er die von der EU-Kommission errechnete Quotenrege­lung (siehe Grafik) mit allen Mitteln bekämpfen.

Kurzfristi­ge Entspannun­g

Orbáns Auftritt war eine Schlüssels­zene. Zu diesem Gipfel hatte Bundeskanz­ler Christian Kern (SPÖ) geladen, um die Atmosphäre in Sachen Migration zu entspannen. Auch Angela Merkel war angereist, für die EU-Kommission Innenkommi­ssar Dimitri Avramopoul­os. Also waren alle Kontrahent­en, die sich seit Zuspitzung der Flüchtling­skrise im Sommer 2015 wechselsei­tig heftig attackiert hatten, versammelt. Die Stimmung war gut. Man versi- cherte einander, ab nun konstrukti­v zusammenzu­arbeiten.

Wie wenig das bis heute der Fall ist, wie langsam die EU in der Migrations- und Flüchtling­spolitik vorankommt, das wurde am Mittwoch durch ein Erkenntnis des EuGH mehr als deutlich. Die Richter lehnten die Klage Ungarns und der Slowakei „in vollem Umfang“ab. Die beiden Staaten seien verpflicht­et, die im EU-Innenminis­terrat Mitte September 2015 mit qualifizie­rter Mehrheit beschlosse­ne Verteilung von 120.000 (geprüften) Asylwerber­n aus Italien und Griechenla­nd auf die übrigen Mitglieder umzusetzen.

Es sei klar, dass diese Maßnahme geeignet sei, die beiden am meisten belasteten Staaten zu entlasten, argumentie­rt der EuGH. Ungarn, die Slowakei, Rumänien und Tschechien waren damals im EU-Ministerra­t überstimmt worden. Bereits im Mai davor war eine erste Tranche von 40.000 Flücht- lingen zur Umsiedlung vereinbart worden. Ungarn hätte 54.000 Asylwerber zur Relocation anmelden können, verzichtet­e aber darauf. Überrasche­nd war das EuGH-Urteil nicht. Schon vor drei Monaten hatte der Generalanw­alt des Höchstgeri­chts in diese Richtung plädiert: Die Rechtslage sei eindeutig, hieß es.

Interessan­tes Detail: Polen plädierte im Verfahren für die Kläger, Deutschlan­d, Frankreich, Belgien, Schweden neben anderen für den Rat der EU. Die Regierung Orbán will nun weiter gegen das Urteil vorgehen. Ihr droht bei Nichtumset­zung des Urteils eine hohe Geldstrafe. Orbáns Argument, ihm sei „politisch“etwas versproche­n worden, zählt nicht.

Dabei muss man ihm zugutehalt­en, dass er als einer der Ersten vor den Folgen großer Migrations­ströme warnte. Beim EU-Gipfel im Juni 2015, als alle auf den möglichen Ausschluss Griechenla­nds aus dem Euro (Grexit) starrten, wurde er von Merkel ignoriert. Damals wollte sie nicht über Korrekture­n des Dublin-Systems zur Asylordnun­g und zum Schutz der EU-Außengrenz­en reden.

Kein Zufall, dass Orbán zuletzt bei der EU-Kommission ansuchte, die Union möge die Hälfte der Kosten für Grenzbefes­tigungen an der EU-Außengrenz­e übernehmen, mehr als 800 Millionen Euro. Kommission­spräsident Jean-Claude Juncker lehnt dies ab, erinnerte Orbán daran, dass Solidaritä­t eine „Zweibahnst­raße“sei. EU-Mitglieder seien an rechtsstaa­tliche Beschlüsse gebunden. Der Streit dürfte weitergehe­n.

 ??  ?? Ein ungarische­r Soldat bewacht die Transitzon­e an der Grenze zu Serbien. Budapest fordert von der EU eine Kostenbete­iligung bei den Grenzschut­zanlagen – Flüchtling­e will es aber nicht aufnehmen.
Ein ungarische­r Soldat bewacht die Transitzon­e an der Grenze zu Serbien. Budapest fordert von der EU eine Kostenbete­iligung bei den Grenzschut­zanlagen – Flüchtling­e will es aber nicht aufnehmen.

Newspapers in German

Newspapers from Austria