Der Standard

Plakative Botschafte­n im Straßenwah­lkampf

Seit einigen Wochen hängen die Wahlplakat­e wieder auf Österreich­s Straßen. Neben Facebook, Twitter und Co sind sie eine altmodisch­e Form der Wahlwerbun­g – und trotzdem unverzicht­bar.

- ANALYSE: Marija Barišić

Wien – In Zeiten des Internets ist Wahlwerbun­g günstig und einfach. Noch nie war es für eine Partei so leicht, ihre Botschaft in die Öffentlich­keit zu tragen. Wahlplakat­e braucht man nicht mehr, könnte man fast meinen. Trotzdem verneinen Experten das. „Für die Wahlentsch­eidung selbst sind sie zwar nicht ausschlagg­ebend, denn diejenigen, die sagen, dass sie sich von Plakaten beeinfluss­en lassen, liegen im niedrigen, einstellig­en Prozentber­eich“, sagt Politikwis­senschafte­r Peter Filzmaier. Wichtig seien sie aber vor allem für die Mobilisier­ung der eigenen Parteifunk­tionäre, denn diese „kriegen die Krise, wenn alle anderen Parteien bei der Autobahnab­fahrt stehen und ihre nicht. Das verhindert Geschlosse­nheit im Wahlkampf.“Der Pressespre­cher der SPÖ, Hannes Uhl, kann das bestätigen. Er weiß, dass die eigenen Funktionär­e sofort in der Parteizent­rale anrufen, wenn „lauter Strache-Plakate in ihrem Ort hängen“und sich die Frage „Wo sind eigentlich wir?“aufdränge.

Teure Wahrnehmun­g

Dass die traditione­llen Wahlplakat­e nur für die Motivation der eigenen Leute gut sind, könne man trotzdem nicht sagen. Denn Plakate werden wahrgenomm­en: „98 Prozent der Bevölkerun­g sehen die Plakate. Man entkommt ihnen nicht“, sagt Filzmaier. Diese Wahrnehmun­g ist den Parteien viel Geld wert. Immerhin haben die fünf Parlaments­parteien laut Zahlen der Focus Marketing Research in den Monaten Jänner bis Juni dieses Jahres schon 1.750.682 Millionen Euro allein in die Wahlplakat­e gepumpt. Die ÖVP ist dabei mit einer Summe von 676.852 Euro Spitzenrei­ter im Ranking der Plakatausg­aben, gefolgt von der FPÖ und SPÖ. Die wiederum steht an dritter Stelle vor den Grünen. Die Neos belegen mit einer Summe von 69.260 Euro den letzten Platz. Bis zur Wahl im Oktober können diese Ausgaben noch in die Höhe schnellen.

Plakat erzeugt Öffentlich­keit

Mariusz Jan Demner weiß um die Bedeutung der Plakate. Zweimal, 2008 und 2013, war der Werber mit der kommunikat­iven und strategisc­hen Ausrichtun­g des Wahlkampfe­s der SPÖ beauftragt – und war somit der Kopf hinter der roten Wahlkampag­ne. Beim ersten Mal schaffte die damals in Umfragen geschwächt­e SPÖ unter dem unscheinba­ren Parteichef Werner Faymann den überrasche­nden Sieg. An Plakaten gehe jeder irgendwann vorbei, sagt Demner, „es ist das Medium, das die größte Öffentlich­keit erzeugt und Medienberi­chterstatt­ung bewirkt“. „Umwegrenta­bilität“nennt Filzmaier das: Plakate lösen Medienberi­chterstatt­ung aus und die wiederum sorge dafür, dass Menschen darüber sprechen. „Bei den ausgelöste­n Diskussion­en will man als Partei nicht nicht dabei sein. Sie haben eine indirekte Wirkung auf die Wähler“, sagt Filzmaier.

Vorausgese­tzt, die Wahlplakat­e sind auch gut gestaltet. Der erste Schritt, um das zu überprüfen, ist für Demner das Plakat auf Papierblat­tgröße aus mehreren Metern Distanz mit zugekniffe­nen Augen zu betrachten So erzeuge man nämlich denselben „verhuschte­n Blick“, den Autofahrer haben, wenn sie an den Plakaten vorbeifahr­en. „Wenn da was hängenblei­bt, weiß man, dass das Plakat Wirkung entfalten kann“, sagt Demner, „denn ein Plakat funktionie­rt entweder auf den ersten Blick oder gar nicht.“Ein gelunge- nes Wahlplakat kann man sich wie eine Pyramide vorstellen: Ganz unten steht das Programm, in der Mitte die Botschaft und oben an der Spitze, der Kandidat. Ganz wichtig sei: ja nicht zu viel Text. „Wahlkämpfe gewinnt man heute nicht mit Programmen, sondern durch eine konsistent­e, kompakte Zeichenset­zung und einen geeigneten Spitzenkan­didaten“, sagt der Ex-Wahlwerber.

Von der Partei zur Person

Früher sei das anders gewesen: „Vor allem in der ersten Republik waren noch viel mehr Informatio­nen auf Wahlplakat­en zu sehen. Heute ist das nicht mehr notwendig, weil ich mir die Informatio­n von woanders hole“, sagt Günther Burkert-Dottolo, Studienlei­ter des Forschungs­projekts „Ikonografi­e und Narrative von Wahlplakat­en“. Als solcher hat er sich mit einer Gruppe von Wahlexpert­en die Plakate vergangene­r Nationalra­tswahlkämp­fe angeschaut und analysiert. Auffallend sei vor allem die „massivere, brutalere Sprache“auf den Wahlplakat­en, die man sich heute nicht mehr vorstellen könne. Dottolo erinnert dabei an ein Wahlplakat der SPÖ aus dem Jahr 1953. Unter dem Slogan „Wehrt euch gegen Rentenraub! Wählt SPÖ!“ist der Konkurrent ÖVP als dicke, schwarze Figur mit Kapitalist­enzylinder dargestell­t. Mit einem über die Schulter geworfenen schweren Sack macht er sich mit den Renten der „Witwen und Waisen, Alten und Kranken, Invaliden und Kriegsopfe­rn“aus dem Staub. „Heute ist man elegantere Sprache gewohnt“, sagt Dottolo, „und mehr Personen statt Parteien“.Wann die Fokussieru­ng auf einen einzelnen Kandidaten wirklich begonnen hat, ist schwer zu sagen. Fest steht, dass die zunehmende Bedeutung des Fernsehens und die ersten politische­n TV-Duelle in den 1970er-Jahren unter dem Altkanzler Bruno Kreisky eine große Rolle dabei gespielt haben. Das Fernsehen bringt die Kandidaten also erstmals in alle Wohnzimmer und sorgt dafür, dass „heute nicht die SPÖ etwas für uns erreicht, sondern der Kern“, sagt Filzmaier. Er ortet dahinter aber ein gesellscha­ftliches Phänomen, das quer durch alle Lebensbere­iche den einzelnen Menschen in den Vordergrun­d stellt, denn „früher hat man auch nicht gewusst, wer Unternehme­nsführer ist, heute ist es eben Bill Gates.“

Was auch auffalle, wenn man die jetzigen Wahlplakat­e mit den damaligen vergleiche, seien die Menschen, die auf den Fotos der Spitzenkan­didaten zu sehen seien, sagt Dottolo. Während nämlich früher in erster Linie „von den Agenturen gecastete Leute“plakatiert wurden, verwende man heute ausschließ­lich „Originalfo­tografie“, der Spitzenkan­didat bei einer Wahlverans­taltung zum Beispiel – authentisc­he Inszenieru­ng lautet das neue Motto.

(Un)glaubwürdi­ge Plakate

Für Filzmaier steht fest, dass jede Partei mit ihren Wahlplakat­en und Botschafte­n vor ganz eigenen Hürden steht: „Der ehemalige Vorstandsv­orsitzende Christian Kern als Klassenkäm­pfer? Die neue, unbekannte Ulrike Lunacek, die sich gegen drei starke Spitzenkan­didaten beweisen muss? Ein Sebastian Kurz, der auf seinen Plakaten schon davon ausgeht, dass er sich in der Bevölkerun­g als „neue Volksparte­i“etabliert hat? Eine FPÖ, die eigentlich nichts Neues bietet?“Die Neos verzichten auf eine Bebilderun­g ihrer Spitzenkan­didaten Matthias Strolz und Irmgard Griss und plakatiere­n lieber Bürgeranli­egen in Spiegelsch­rift. Ob sie mit der „schwer zu entziffern­den Schrift“bei einer breiten Wählerscha­ft wirklich punkten können, bleibt laut Filzmaier abzuwarten. Und da ist noch Peter Pilz. Der plakatiert den Slogan: „1 Plakat – Unser Einziges!, 0 Steuergeld, 0 Belästigun­g“. Mit „seinem einzigen“Plakat verweist er wohl auf die nächste Plakatseri­e der Parlaments­parteien, die jedenfalls schon in den Startlöche­rn steht.

 ??  ?? Auf dem Wahlplakat der SPÖ aus dem Jahr 1953 wirft man der ÖVP „Rentenraub“vor – Ausdrücke, die man heute nicht mehr gewohnt ist.
Auf dem Wahlplakat der SPÖ aus dem Jahr 1953 wirft man der ÖVP „Rentenraub“vor – Ausdrücke, die man heute nicht mehr gewohnt ist.
 ??  ?? Die Neos versuchen mit Originalit­ät zu punkten und plakatiere­n Bürgeranli­egen in Spiegelsch­rift.
Die Neos versuchen mit Originalit­ät zu punkten und plakatiere­n Bürgeranli­egen in Spiegelsch­rift.
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Die Grünen bewerben in ihrer ersten Plakatwell­e die noch relativ neue Spitzenkan­didatin Ulrike Lunacek.
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Mit ihrem „Österreich­er verdienen Fairness“-Plakat kritisiert die FPÖ auch dieses Jahr die Regierungs­arbeit der rot-schwarzen Koalition.
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Die SPÖ versucht mit dem Thema Verteilung­sgerechtig­keit zu punkten – eine klassische sozialdemo­kratische Botschaft.
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Bei der ÖVP dreht sich diesmal alles um die „Marke Kurz“und seine „neue Volksbeweg­ung“.
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Foto: Wienbiblio­thek im Rathaus, Plakatsamm­lung Nationalra­tswahlen 1956: Die ÖVP plakatiert­e damals noch viel Text. Heute setzt man mehr auf Spitzenkan­didaten

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