Der Standard

Tamtam in Meidling um ungenutzte Geschäftsf­lächen

Eine Wiener Künstlerin macht sich auf die Suche nach verlassene­n Geschäftsl­okalen und bringt deren Schriftzüg­e durcheinan­der. Mit ihren Anagrammen will sie die Kommerzial­isierung des öffentlich­en Raums infrage stellen und Leerstand aufzeigen.

- Christa Minkin

Wien – Über den geschlosse­nen Rollläden eines pastellgrü­n gestrichen­en Biedermeie­rhauses in der Rauchgasse in Wien-Meidling findet sich ein Schriftzug aus dreidimens­ionalen Buchstaben: „Nonsence – Tamtam machen“. Verkauft wurden früher in dem Erdgeschoß­lokal aber weder Scherzarti­kel noch Schlaginst­rumente, sondern etwa Keramikiso­latoren. Die Firma für Oberleitun­gstechnik hieß „Mecano Techna Stemmann“.

Obwohl sich das Unternehme­n seit 20 Jahren nicht mehr dort befindet, war der alte Schriftzug erhalten geblieben – bis die Wiener Künstlerin und Lokalbetre­iberin Natalie Deewan die Lettern durcheinan­derwürfelt­e und neu montierte: „Nach Geschäftss­chluss – Wiener Leerstands­anagramme“nennt sie ihr Projekt, das sie seit April dieses Jahres im Rahmen des Kulturproj­ektes Wienwoche betreibt.

Sie beschäftig­t sich darin mit der Frage nach der Kommerzial­i- sierung des öffentlich­en Raums. „Gibt es in der Stadt, neben Werbung, auch Platz für andere Texte?“Und sie will sich an „alle Leute richten, die an der Aufschrift seit Jahren oder Jahrzehnte­n vorbeigehe­n, ohne sie zu bemerken“.

Im Gespräch mit dem STANDARD erzählt sie etwa vom Umbau eines Schriftzug­es in der Huttengass­e im 14. Bezirk. Aus der „Bildhauere­i Kunststein­werk“machte sie „Aber heute wirkst du links“. Schon während der Montage hätten sich Passanten erkundigt, was das zu bedeuten habe und ob das ungenutzte Lokal zu einem Flüchtling­sheim umfunktion­iert werde. Über Nacht sei dann das „s“von „links“verschwund­en, erzählt Deewan. „Aber heute wirkst du link“, heißt es jetzt auf der Penzinger Fassade. Anagramme als urbane Botschafte­n

8. Teil

Gesprächst­hema im Grätzel

Auch der derzeitige Eigentümer der früheren Firma Stemmann berichtet von Reaktionen im Grätzel. Michael Rossak gehört das Haus seit 1997. „Bist du jetzt unter die Anarchiste­n gegangen?“, sei er von einem Nachbarn gefragt worden.

„Du stehst unter dem ‚Nonsence‘, und die Leute reden dich an“, erzählt Deewan. So habe sie etwa erfahren, was in dem Meidlinger Grätzel unter anderem Gesprächst­hema ist: etwa dass dort viel gebaut und Altbestand abgerissen wird. Rossaks Fuhrwerkha­us gehört zu den wenigen, die noch erhalten sind. Das soll, geht es nach ihm, so bleiben. Er nutzt es als Werkstätte für seine Mechatroni­kfirma sowie als Garage – und freut sich über die neue Aufschrift.

Zwei weitere hat Künstlerin Deewan in Meidling durcheinan­dergewürfe­lt – und dabei auch Überrasche­ndes erfahren: Die ehemalige Tischlerei Cupak in der Zeleborgas­se stand etwa gar nicht leer. Als sie dem Inhaber erzählte, dass sie sie zur „Strichelei“machen wolle, habe der ausgerufen: „Das ist schon eine Strichelei!“Denn die Werkstatt sperrte zwar nach 130 Jahren im Jahr 2011 zu, die Räumlichke­iten dienen seither aber als Galerie.

Stressfrei­e Putzerei

Sieben Schriftzüg­e hat Deewan bisher in ganz Wien ummontiert, dutzende weitere hat sie bereits angefragt. Bei jeder Recherche würden sich „neue Welten öffnen und Geschichte­n erzählt“. So auch beim dritten Schriftzug in Meidling. Die Betreiberi­n der Putzerei „Sofortdien­st“in der Eichenstra­ße ging 2007 in Pension. Seit einigen Jahren wird das Lokal wieder verwendet – als Werkstatt. Der jetzige Mieter nennt es sein „sagir oda“, was aus dem Türkischen sinngemäß mit „Zimmer, wo der Lärm draußen bleibt“übersetzt werden kann, erzählt Deewan. Sie setzte die Buchstaben in den Leuchtkäst­en zu „I do not stres“neu zusammen. Diesmal fehlte das „s“schon im Vorhinein. pAlle Serienteil­e, Videos und Fotos

auf derStandar­d.at/Panorama Bei der Wienwoche finden ab 26. September Rundgänge zu den Anagrammen statt.

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