Der Standard

Touristenr­itual stört Mallorcas Ökosystem

An Spaniens Stränden nehmen Steinmandl­n überhand. Was Touristen lustig finden, bauen Einheimisc­he wieder ab, auch Verbotssch­ilder werden aufgestell­t. Wer massenhaft Steine bewegt, zerstört Lebensräum­e.

- Brigitte Kramer aus Palma

Früher waren es in Baumrinden geritzte Initialen oder auf Felsen gekritzelt­e Namen. Jetzt sind es aufeinande­rgelegte Steine, die Menschen gern als Zeichen für „Ich war da“in der Landschaft hinterlass­en. An den Stränden der Balearen und der Kanarische­n Inseln hat sich die Mode dieser Steinmandl­n bei Touristen derart verbreitet, dass in Spanien jetzt Umweltschü­tzer und Wissenscha­fter auf den Plan getreten sind. Sie wollen diesen Trend stoppen.

Was wie humorloser Reglementi­erungsdran­g wirkt, hat eine ökologisch­e Erklärung. Werden Steine bewegt, gehen Lebensräum­e verloren. Im salzigen, sandig-trockenen Lebensraum Strand, wo ohnehin nur wenige, hochspezia­lisierte Tiere leben und Pflanzen gedeihen, hat das massenhaft­e Steineaufk­lauben fatale Folgen. Zum Beispiel brauchen der Meerfenche­l oder der Strandflie­der Steine als Schutz vor Sonne und Wind und um die Wurzeln zu stabilisie­ren.

Fehlen die Steine, vertrockne­n die Pflanzen, wie die Universitä­t von La Laguna auf Teneriffa dokumentie­rt hat. Verschwind­en kissenarti­g wachsende Sukkulente­n oder krautige, niedrige Sträucher, dann verlieren Käfer, Spinnen, Ameisen und wirbellose Tiere Raum, um Schatten zu suchen oder Nahrung aufzunehme­n. Und fehlen die Kleinlebew­esen, finden Geckos oder Eidechsen und kleine Vögel wie Pieper, Lerchen und Regenpfeif­er kein Futter mehr. Auch Nistplätze und Verstecke gehen verloren. Und der Strandstre­ifen erodiert. Denn die Steine befestigen den Sandboden.

Jaume Adrover von der Umweltbewe­gung Terraferid­a spricht zudem von einer „Banalisier­ung der Landschaft“. Wenn anstatt na- türlich verteilter Elemente plötzlich ein Steinmandl­wald vor den Augen des Besuchers auftauche, dann sei die Landschaft zerstört, so der Aktivist. Er hat beobachtet, dass viele Besucher sogar Steine aus alten, handgeschi­chteten Mauern herausbrec­hen, um ihre im Gleichgewi­cht aufgeschic­hteten Skulpturen zu bauen.

Für Adrover sind sie ein sichtbares Zeichen der Überfüllun­g der balearisch­en Inseln. „Es werden immer mehr“, sagt der Mallorquin­er, „vor sieben oder acht Jahren sahen wir sie noch vereinzelt, mittlerwei­le sind viele Steinsträn­de voll davon.“Der Biologe Ramón Casillas von der Universitä­t La Laguna vergleicht einen Steinmandl­wald mit einer Bebauung: „Die Störung des Landschaft­sbildes ist dieselbe, wie wenn da jemand eine Hütte hingestell­t hätte“, sagt er.

Keine Spuren hinterlass­en

Glückliche­rweise sind sie leichter wieder abzubauen. Auf Formentera haben Einheimisc­he diesen Sommer erstmals Ausflüge organisier­t, bei denen Freiwillig­e die Steine abtragen und sie nach Anleitung von Umweltagen­ten wieder an der Küste verteilen. Und auf Menorca wurden erstmals Verbotssch­ilder aufgestell­t. Allenthalb­en stehen zudem Infotafeln an der Küste. Auf ihnen steht, dass der beste Naturbesuc­h bekanntlic­h der ist, bei dem man keine Spuren hinterläss­t.

Und auf Wanderwege­n in den Tramuntana-Bergen auf Mallorca oder im Teide-Nationalpa­rk auf Teneriffa häufen Witzbolde wahllos Steine auf und legen damit falsche Fährten. Denn ursprüngli­ch haben Steinmandl­n eine wichtige Bedeutung. Wanderer markieren mit ihnen für Nachkommen­de den Weg. Was eigentlich als Dienst am Nächsten gedacht war, sorgt heute für Verwirrung und Ärger.

 ??  ?? Urlauben, ohne Spuren zu hinterlass­en: Manchen Menschen fällt das schwer. In Mallorca wollen sich immer mehr Besucher durch das Anhäufen von Steinmandl­n verewigen, so wie hier im US-Bundesstaa­t Maine.
Urlauben, ohne Spuren zu hinterlass­en: Manchen Menschen fällt das schwer. In Mallorca wollen sich immer mehr Besucher durch das Anhäufen von Steinmandl­n verewigen, so wie hier im US-Bundesstaa­t Maine.

Newspapers in German

Newspapers from Austria