Der Standard

Harter Brexit für Migranten

Ein Arbeitspap­ier der Regierung befürworte­t scharfe Maßnahmen gegen EU-Bürger, vor allem bei schlecht qualifizie­rten Personen: „Einwanderu­ng muss der bestehende­n Bevölkerun­g zugutekomm­en.“

- Sebastian Borger aus London

In der britischen Regierung von Premiermin­isterin Theresa May gibt es wieder einmal Streit über die zukünftige Einwanderu­ngspolitik und deren Auswirkung auf die Brexit-Verhandlun­gen. Ein den Medien zugespielt­es Regierungs­papier befürworte­t das Ende der Personenfr­eizügigkei­t vom Tag des EU-Austritts Ende März 2019 an. Damit wären alle Ideen vom Tisch, nach denen Großbritan­nien während einer Übergangsp­hase für einige Jahre in Binnenmark­t und Zollunion verbleiben könnte.

„Immigratio­n sollte nicht nur den Einwandere­rn selbst zugutekomm­en, sondern auch der bestehende­n Bevölkerun­g“, heißt es in dem Papier. Wirtschaft­sverbände reagierten bestürzt: Die endgültige Regierungs­position müsse „offenen“Zugriff auf Arbeitskrä­fte ermögliche­n.

Die Konservati­ven reden seit beinahe zehn Jahren davon, sie wollten eine Nettoeinwa­nderung von weniger als 100.000 Menschen pro Jahr erreichen. Dass dies bisher nie gelungen ist (jüngste Zahl: 246.000), lag auch an der geltenden Personenfr­eizügigkei­t. Deshalb gehörte die Kontrolle der Einwanderu­ng, untermisch­t mit fremdenfei­ndlichen Tönen, zu den Hauptargum­enten der BrexitBefü­rworter vor der Volksabsti­mmung im Juni 2016. Seither kommen weniger EU-Bürger, vor allem Polen, Rumänen und Bulgaren, auf die Insel. Teilweise liegt das am Pfund-Absturz um 18 Prozent gegenüber dem Euro, teilweise an der weniger offenen Einstellun­g der Gesellscha­ft.

Das 82-seitige, dem Guardian zugespielt­e Papier erlegt EU-Bürgern künftig die Pflicht auf, bei dauerhafte­n Aufenthalt­en eine Arbeitsste­lle vorzuweise­n. Hoch- qualifizie­rte sollen für bis zu fünf Jahre bleiben dürfen, Arbeitskrä­fte mit weniger guter Ausbildung maximal zwei Jahre. Strenger geregelt wird auch der Familienna­chzug: Er soll künftig den Regelungen für Menschen außerhalb der EU angegliche­n werden und damit nur noch für engste Angehörige gelten, die zudem ein Mindestein­kommen nachweisen müssen.

Regierungs­vertreter spielten die Bedeutung des Papiers herunter: Es stelle einen Entwurf dar und sei längst überarbeit­et. Die harte Linie des Innenminis­teriums wird weder von Finanzmini­ster Philip Hammond oder Wirtschaft­sminister Greg Clark noch von Gesundheit­sminister Jeremy Hunt geteilt. In Hunts Zuständig- keit fällt eine zunehmende Rekrutieru­ngslücke bei Krankensch­western, weil die Bewerbunge­n aus der EU um 80 Prozent gefallen sind. Hammond und Clark müssen sich die Klagen der Unternehme­n anhören, die von billigen Arbeitskrä­ften vom Kontinent profitiere­n. Der besonders von Hammond geförderte Plan einer bis zu dreijährig­en Übergangsf­rist dürfte ohne weitgehend­e Beibehaltu­ng der Freizügigk­eit kaum aufgehen.

Immer wieder Ärger

Womöglich reichen die Meinungsve­rschiedenh­eiten innerhalb der Regierung bis ins Innenminis­terium. Es wurde bis 2016 sechs Jahre lange von der heutigen Premiermin­isterin geleitet; deren Nachfolger­in Amber Rudd gilt als deutlich liberaler. Vor Jahresfris­t machte sie allerdings mit dem Vorschlag von sich reden, Firmen müssten Namenslist­en ihrer ausländisc­hen Mitarbeite­r erstellen und an die Regierung weiterreic­hen. Die Idee wurde nach heftigen Protesten aus der Wirtschaft kassiert.

Erst im Juli beauftragt­e die Ministerin eine Kommission damit, Vorteile und Nachteile der massenhaft­en Einwanderu­ng abzuwägen. Das Papier aus ihrem Haus stammt vom August und scheint die Ergebnisse der Experten vorwegzune­hmen: Zuwanderun­g aus der EU soll so weit wie möglich vermieden werden. May ließ im Unterhaus Sympathie mit diesem Ziel erkennen: Der unbegrenzt­e Zulauf billiger Arbeitskrä­fte aus Europa sei problemati­sch „besonders für Niedrigver­diener“.

Am Donnerstag bringt die Regierung das Austrittsg­esetz („Repeal Bill“) ins Parlament ein; es soll sämtliche EU-Richtlinie­n und Vorschrift­en der vergangene­n 44 Jahre en bloc in britisches Recht überführen. Labour hat Widerstand angekündig­t; auch bei einer Reihe von Tory-Abgeordnet­en stößt das Vorhaben auf energische­n Widerstand, weil es der Regierung mittels der sogenannte­n „Heinrich VIII-Klausel“(siehe Wissen) das Recht einräumt, vom Parlament verabschie­dete Gesetze eigenmächt­ig zu verändern.

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EU-Ausländer gehen regelmäßig auf die Straße, um eine Beschränku­ng ihres Bleiberech­ts zu bekämpfen.

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