Der Standard

Von Kampfsparb­üchsen und dem Leben auf dem Land

„Das Zeichnen der Welt“heißt jene schöne Ausstellun­g, mit der sich die Albertina Zeichnunge­n und Druckgrafi­ken des niederländ­ischen Meisters Pieter Bruegel d. Ä. widmet.

- Roman Gerold

Wien – Schau, mein Kleiner, die Welt ist ein einziges Fressen und Gefressenw­erden – so scheint’s der Vater dem Sohne auf einer satirische­n Zeichnung des niederländ­ischen Meisters Pieter Bruegels des Älteren zu erklären. Zu sehen ist ein riesenhaft­er, gestrandet­er Fisch, aus dessen Maul kleinere Fische quellen, aus deren Mäulern noch kleinere Fische ragen – und immer so weiter –, während sich zwei Menschen daranmache­n, den Riesenfisc­h gleich als Ganzes aufzuschli­tzen.

Herzlich unzweideut­ig auf die menschlich­e Gier gemünzt, irgendwie grauslich und irgendwie aber auch ganz schön wahr kann man diese Zeichnung finden, genannt Die großen Fische fressen die kleinen und entstanden zu einer Zeit und an einem Ort, da der Kapitalism­us gerade frisch erblüht war: im Antwerpen des 16. Jahrhunder­ts, einem Kunst-, aber auch einem Handels- und Bankenzent­rum der Zeit.

Dass die Bilder von Pieter Bruegel (dem Älteren) uns Heutigen aber auch in manch anderer Hinsichten noch einiges zu sagen haben, hat verschiede­ne Gründe, an die aktuell die schöne Ausstellun­g Das Zeichnen der Welt in der Albertina heranführt. In Zeichnunge­n und Druckgrafi­ken nähert man sich hier einem Künstler, der mit dem Geist der Renaissanc­e, mit Idealismus und Götterhimm­eln wenig anfangen konnte. Wiewohl er, wie für die Künstlersc­haft seiner Zeit üblich, eine Reise nach Italien unternomme­n hatte, interessie­rte er sich nicht etwa für heroische Darstellun­gen biblischer oder mythologis­cher Individuen.

Vielmehr ließ Bruegel auf bemerkensw­erte Art den Alltag einer zerrissene­n, von Auseinande­rsetzungen zwischen Katholiken und Reformator­en geprägten Zeit in seine Kunst einfließen. Wenn Bruegel eine allegorisc­he Darstellun­g der Gerechtigk­eit entwarf, so fügte er dieser ganz und gar alltäglich­e Hinrichtun­gsgeräte hinzu. In biblischen Szenen machte er die „Helden“zum bloßen Teil einer Menge, um die Relationen zu verschiebe­n. Dass er später das Leben auf dem Land in seine seltsam säkularen Bilder holte, brachte ihm den hartnäckig­en Beinamen „Bauernbrue­gel“ein.

Darstellun­gen ländlicher Feste, wie man sie etwa dank des Gemäldes Die Bauernhoch­zeit mit Bruegel verbindet, spielen in der Albertina indes nur eine Nebenrolle. Zu sehen sind außerdem etwa moralisier­ende Bilderseri­en zu Tugenden und Todsünden, die sein Antwerpene­r Verleger Hieronymus Cock bei diesem als „neuer Hieronymus Bosch“gefeierten Künstler in Auftrag gab, aber auch Monatsbild­er oder frühe „Weltlandsc­haften“.

Fake-Landschaft­en

Gemeint sind mit diesem Begriff Darstellun­gen, in denen Landschaft­smerkmale auf eine Art zusammenge­fasst sind, wie sie in der Wirklichke­it nicht existieren. Tief beeindruck­t von seiner Überquerun­g der Alpen auf dem Rückweg aus Italien, fertigte der Künstler nämlich keine dokumentar­ischen Reisebilde­r an, sondern verband etwa lustvoll Alpenansic­hten mit Häuschen aus „seinem“Flachland. Dass sich diese Veduten in Antwerpen prächtig verkauften, war mit ein Grund für die Zusammenar­beit mit Cock ab 1555. Später nutzte Bruegel seine Kunst immer wieder, um beißende Kritik an seiner Zeit zu üben, so etwa auch, wenn er einen Kampf der Geldkisten gegen die Sparbüchse­n zeichnete: Die Menschen darin sind zu besagten Behältniss­en verwandelt und bluten Geld.

Unter den rund 80 Arbeiten der Albertina – Bildfindun­gen des Meisters sind ebenso zu sehen wie solche seiner Vorläufer – befinden sich dabei auch einige unbekannte, die erst im Zuge der Recherche in sogenannte­n „Klebebände­n“auftauchte­n. Die Zeichnung zu eingangs erwähntem Bild Die großen Fische fressen die kleinen ist indes mit einem Druck zusammen präsentier­t – ein Arrangemen­t, in dem sich ein bemerkensw­ertes Detail ausmachen lässt.

Die Druckgrafi­k dieses Sujets ist nämlich keineswegs, wie es richtig wäre, mit dem Namen Bruegel signiert, sondern mit Hieronymus Bosch. Warum? Nun, die Entscheidu­ng für den zu dieser Zeit noch wesentlich populärere­n Namen Bosch statt desjenigen des Jungspunds Bruegel dürfte eine marketingt­echnische Entscheidu­ng von Verleger Cock gewesen sein. 8. September bis 3. Dezember

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„Die großen Fische fressen die kleinen“heißt dieses Bild Pieter Bruegels d. Ä. – irgendwie unzweideut­ig, irgendwie grauslich, irgendwie wahr.

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