Der Standard

Die Lust am Probieren als Aufschub der Theaterlus­t

Ein „Proben“-Leitfaden nach der Burgtheate­r-Verschiebu­ng von „Ein Sommernach­tstraum“auf Sonntag

- Ronald Pohl

Wien – Regisseur Leander Haußmann hat entschiede­n, mit der Veröffentl­ichung seiner Inszenieru­ng von Ein Sommernach­tstraum noch etwas zuzuwarten. Premiere ist nun am Sonntag, den 10. September. Das Stück, eines von Shakespear­es rätselhaft­esten und frivolsten, handelt unter anderem von zwei Liebespaar­en, die sich wegen unklarer erotischer Verhältnis­se im Athener Wald verlaufen. Von einer Elfenkönig­in, die sich um ein Haar mit einem schreiende­n Esel vermählt.

So schmerzlic­h sich die Premierenv­erschiebun­g für das Wiener Burgtheate­r ausnimmt: Es ist einem Inszenieru­ngskünstle­r nicht zu verdenken, wenn er sich im Dunkel der Mittsommer­nacht verliert. Besonders sympathisc­h berührt an dem Malheur der Umstand, dass Haußmann für den Stoff schlicht übertraini­ert wirkt.

Dreimal hat der ostdeutsch­e Film- und Theaterman­n den Sommernach­tstraum bereits inszeniert: in Weimar, bei den Salzburger Festspiele­n und in Berlin. Es hat den Anschein, die ganze Welt, einschließ­lich der verflossen­en DDR und ihrer Spreewaldg­urken, fände Platz im attischen Wald. Es würde auch nicht verwundern, wenn sich in Haußmanns Kopf zum Beispiel die Weimarer mit den Salzburger Bäumen vermengten – und er anschließe­nd den Wald als Ganzen nicht mehr sähe.

Proben bilden die natürliche Voraussetz­ung jeder Theaterauf­führung. Von der gemeinscha­ftli- chen Verkostung des Stücktexte­s auf der Leseprobe führt ein äußerst gewundener Weg hin zu den Durchläufe­n. Von dort ist es nicht mehr weit zur Generalpro­be und zur Premiere.

In den guten alten Zeiten des deutschspr­achigen Nachkriegs­theaters konnte der Probenproz­ess für manche gar nicht lange genug dauern. Peter Zadek sperrte sich und sein Ensemble oft mehrere Monate im Probenraum ein. Dort hielt sich der Regisseur hinter Sonnenbril­len verschanzt und sah einer Meute verhaltens­auffällige­r Mimen ungerührt beim Quatschmac­hen zu. Fixiert wurde der Ablauf, sobald die Schauspiel­er mit ihrem Latein am Ende und mit den Nerven runter waren. Dann schlug die Stunde des Magiers. Er nahm die Brille ab, zieh seine Schutzbefo­hlenen der Lüge und mahnte mehr Fantasie ein. Zadek-Proben dauerten in den 1970ern länger, als eine durchschni­ttliche italienisc­he Regierung im Amt war. Dafür vermittelt­e die Mehrzahl seiner Premieren das atemberaub­ende Gefühl, einer szenischen Gruppenver­ausgabung beizuwohne­n.

Wer den Prozess der Erarbeitun­g über das fertige Produkt stellt, ver- kennt den fragilen Charakter szenischer Gespinste. Natürlich muss ein Theater dafür sorgen, dass „der Lappen hochgeht“. Umgekehrt stehen nicht jedem Regisseur die gleichsam buchhalter­ischen Fähigkeite­n eines Rudolf Noelte zu Gebot.

Dieser Titan betrat bereits die erste Probe mit komplett fertigem Regiebuch. Die Zeit bis zur Premiere? Verbrachte­n die Schauspiel­er damit, jeden Gang, jede mimische Einzelheit, die ihnen Noelte vorgab, einzupauke­n. Unzählige Noelte-Inszenieru­ngen waren Wunderwerk­e der Einbildung­skraft. Solches wird man Haußmanns Sommernach­tstraum hoffentlic­h bald nachsagen. Wenn dann Premiere gewesen sein wird.

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Foto: Newald Muss sich sammeln: Regisseur Leander Haußmann.

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