Der Standard

Dramatiker Köck über Zeitraub

Am Samstag feiert im Wiener Akademieth­eater „paradies fluten“von Thomas Köck österreich­ische Erstauffüh­rung. Der oberösterr­eichische Dramatiker im Porträt und im Gespräch über Sprache, notwendige Probleme, fortwirken­de Strukturen und das Schreiben.

- Michael Wurmitzer

Wien – So unkonventi­onell Thomas Köcks Stücke im Druck aussehen, so grundlegen­de Dinge fasziniere­n ihn am Theater. Nämlich die Livesituat­ion, Körper und wie sie sprechen. „Weil das der entscheide­nde Moment ist“, sagt der 31-Jährige. „Das hat mich von Anfang an interessie­rt: Was sind Sätze, die man auf einer Bühne hören möchte, die man Menschen sprechen hören, die man mit Körpern kollidiere­n lassen möchte?“

Köck schreibt konsequent klein, ohne Punkt und Komma. „Ich habe festgestel­lt, dass ich so schneller und konkreter schreiben kann“, meint der aus Oberösterr­eich stammende Dramatiker im Gespräch aus Anlass der Akademieth­eater-Premiere von paradies fluten am Samstag. Wenn er Satzzeiche­n setzt, dann Rufzeichen, ebenso oft arbeitet er mit Zeilenumbr­üchen. Eins wächst ins nächste: Klimawande­l, Plastikmül­l, Demokratie, Finanzwirt­schaft, Sozialstaa­t.

Angefangen hat Köck – der in Wien, Berlin und Leipzig Philosophi­e, Literaturt­heorie und Szenisches Schreiben studiert, vor seinem frühen Erfolg als Autor als Regieassis­tent und Performer gearbeitet hat, Drehbücher schreibt und heuer mit einem Film über Beirut zur Berlinale Talents geladen war – mit Lyrik und Prosa. Er fand den Literaturb­etrieb aber „bräsig“. Über die Performanc­e „tauchte plötzlich Text als eine Form auf, die viel mehr kann“. Auch Musik ist ein wichtiger Einfluss, etwa für chorische Stellen.

Entstanden ist paradies fluten schon 2015, erste Stationen machte es beim Heidelberg­er Stückemark­t, bei den Ruhrfestsp­ielen Recklingha­usen und Suhrkamp. Der Anruf von Burgtheate­rdirektori­n Karin Bergmann habe ihn gefreut, doch halte er sich ungern mit Erfolg auf. „Eigentlich muss man sich, damit man gut arbeiten kann, ständig in eine Position bringen, wo man Probleme hat.“

„Wellen, die zurückschl­agen“

Das Problem, dem Köck in paradies fluten nachspürt, ist die kapitalist­ische Expansion im vergangene­n Jahrhunder­t. Als er den Text 2015 geschriebe­n habe, „erreichte die Flüchtling­skrise gerade einen traurigen Höhepunkt, und ich dachte: Das sind jetzt die Folgen von mehr als 100 Jahren Kolonialis­mus und imperialis­tischer Ausbreitun­g. Das sind Wellen, die jetzt zurückschl­agen, weil in diesen Gebieten jahrhunder­telang Strukturen zerstört wurden.“

Diese Kontinuitä­t will Köck im Stück denken. Es dienen ihm dazu drei Handlungss­tränge. Einer davon stellt eine junge Tänzerin vor, die ihren Eltern den Verkauf des Eigenheims einredet, um sich sieben weitere Jahre Ausbeutung im Prekariat leisten zu können. Ein anderer handelt von einem Architekte­n, der 1890 in Manaus im Dschungel Brasiliens im Auftrag von Kautschukb­aronen eine Oper errichten soll. „Geschichte wird ja aus der Sicht der Sieger geschriebe­n“, so Köck. „Und dann wird oft Kultur hergeschaf­ft, um schlechtes Gewissen zu kaschieren.“Auch die Frage, wie man mit Schuld umgeht, interessie­re ihn.

Weil eben „alles eine Geschichte hat“, glaubt Köck auch, dass „man die Gegenwart nur durch historisch­e Brechung versteht“. Dieser Mix aus Historie und Zeitgenoss­enschaft hat ihm letztes Jahr für kudlich (eine anachronis­tische puppenschl­acht) den ersten Dramatiker­preis der österreich­ischen Theaterall­ianz eingetrage­n.

Dass das gleichzeit­ige Zusammentr­effen von sehr viel Inhalt mit sehr viel Form fordernd, bisweilen überforder­nd sein kann? Findet er einen „ästhetisch­en Effekt, der dazu führt, dass man anders zuhört, konstant wach sein muss. Zudem erlaubt das andere gedanklich­e Kollisione­n.“Die finden schon beim Schreiben statt. Ein halbes Jahr sei Minimum für einen Text, ein „Fertig“gebe es eigentlich nie. Nur einen „Stand“. Doch einmal muss ja Schluss sein.

Die Grenze zu finden, das ist die Kunst. „kein land mehr in sicht vom bühnenrand aus“, heißt es an einer Stelle im Text. Wie viel Realität braucht Bühne oder darf sie anderersei­ts nicht mehr haben, damit Theater funktionie­rt? Er recherchie­re und sammle viel, arbeite mit dokumentar­ischem Material und versuche so „an die Realität heranzukom­men, zu verstehen, wie sie konstruier­t ist“.

Gleichzeit­ig sei ihm „klar – und deshalb mag ich Theater als Form –, dass das, was auf der Bühne verhandelt wird, grundsätzl­ich viel wichtiger und größer ist als jede Realität. Das auf der Bühne muss die absolute, maximale Größe haben. Das gehört zu dieser Kunstform dazu, zu der surrealen Möglichkei­t, die dieser Ort bietet.“

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„Was ist Kapitalism­us? Letzten Endes Zeitraub und Lebensraub“, so Köck. Theater gebe Zeit zurück.

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