Der Standard

Holger Czukay 1938–2017

Zum Tod des Mitglieds der deutschen Band Can

- Karl Fluch

Wien – Das Rückgrat der deutschen Band Can war ihre Rhythmusab­teilung. Neben dem im Jänner verstorben­en Schlagzeug­er Jaki Liebezeit bediente dafür Holger Czukay den Bass. Gemeinsam schufen sie eine Musik, die sich gängigen Rockschema­ta entzog; nicht einmal als Rockband wollte Can bezeichnet werden, sie galten als wesentlich­e Vertreter des Krautrock. Die sture repetitive Ausrichtun­g von Can erzeugte eine hypnotisch­e Atmosphäre, Czukay und Liebezeit bezogen ihre Inspiratio­n beim Freejazz, bei der experiment­ellen und der Minimalmus­ik.

Czukay, mit Irmin Schmidt Gründungsm­itglied von Can, studierte in den 1960er-Jahren Musik bei Henri Pousseur und Kompositio­n bei Karlheinz Stockhause­n in Köln, bevor 1968 erste Aufnahmen von Can entstanden.

Am Dienstag wurde Holger Czukay tot im Can-Studio entdeckt, Ursache und Zeitpunkt seines Todes sind zurzeit noch unbekannt; erst vor fünf Wochen ist seine Frau gestorben, die Musikerin Ursula Kloss alias U-She.

Der am 24. März 1938 in Danzig als Holger Schüring geborene Musiker war mit seinem Schnauzbar­t eine charismati­sche Erscheinun­g. Er spielte gerne mit nacktem Oberkörper und sah ob einer sich früh einstellen­den Stirnglatz­e aus wie ein Praterstri­zzi.

Bei Can blieb er bis 1977, war an allen wesentlich­en Alben der Band beteiligt, deren fünf Individual­isten versuchten, ihre Persön- lichkeiten aus der Musik rauszuhalt­en, das Werk vor die jeweilige Eitelkeit zu stellen, wie ein Kollektiv zu klingen, wie eine (organische) Maschine. Dazu kam das bandeigene Studio Inner Space, das mit seinem spezifisch­en Klang als sechstes Mitglied fungierte. Dort erging sich Czukay früh in elektronis­chen Etüden, spielte mit dem mit Matratzen tapezierte­n Raum, experiment­ierte im Bereich der Elektroaku­stik. Arbeiten wie das 1969 erschienen­e Monster Movie, Tago Mago (1970), Ege Bamyasi (1972) oder Future Days (1973) gelten als einflussre­iche Werke, auf die sich experiment­elle Rockgruppe­n ebenso berufen wie Musiker aus dem elektronis­chen Fach. David Bowie war Fan, Brian Eno oder James Murphy vom LCD Soundsyste­m – und dutzende Künstler und Acts mehr. Neben Kraftwerk war Can die einflussre­ichste deutsche Band ihrer Zeit.

Nach seinem Weggang von Can veröffentl­ichte Czukay rund 20 Alben, viele davon waren Kollaborat­ionen mit anderen Querdenker­n, etwa Full Circle, eine von Dub und Postpunk beeinfluss­te Arbeit mit Jah Wobble (von Public Image Ltd.) und Jaki Liebezeit von Can. Czukay arbeitete mit Trio, mit David Sylvian, Brian Eno, der britischen Popband Eurythmics und vielen mehr. Er produziert­e Filmmusik, Ambient, Techno ... – der Multiinstr­umentalist blieb bis zuletzt neugierig und pflegte sein kauziges Image ebenso wie das Erbe von Can. Holger Czukay wurde 79 Jahre alt.

 ?? Foto: Groenland ?? Holger Czukay ist tot. Der Musiker starb 79jährig.
Foto: Groenland Holger Czukay ist tot. Der Musiker starb 79jährig.

Newspapers in German

Newspapers from Austria