Der Standard

Sonnenstür­me leiten Wale ins Verderben

Im Vorjahr stellte der Tod von 29 Pottwalen an der Nordseeküs­te Biologen vor ein Rätsel. Nun gibt es eine mögliche Erklärung: Das Weltraumwe­tter könnte das Erdmagnetf­eld und damit die Navigation der Tiere gestört haben.

- David Rennert

Kiel/Wien – Pottwale sind die größten Räuber unseres Planeten. Mit 20 Meter Körperläng­e und gut 50 Tonnen Gewicht jagen diese Riesen vorzugswei­se in tiefen Gewässern. Allerdings kommt es immer wieder zu tödlichen Pottwal-Strandunge­n. Wieso manchmal ganze Schulen der Tiere in flache, ufernahe Gewässer geraten, ist bisher nicht abschließe­nd geklärt.

Zu einer ungewöhnli­chen Serie von Strandunge­n kam es zwischen Jänner und März 2016 in der südlichen Nordsee: An den Küsten Englands, Frankreich­s, der Niederland­e und Deutschlan­ds verendeten insgesamt gleich 29 männliche Pottwale. Zwar wurde bei Obduktione­n in den Mägen einiger Tiere Plastikmül­l gefunden, Biologen schlossen das jedoch als Ursache für den Tod der ansonsten durchwegs jungen und gesunden Wale aus.

Dass die Nordsee Pottwalen keine geeigneten Lebensräum­e bietet, macht die Sache nicht weniger rätselhaft. Sorgten Sonargerät­e oder Schiffslär­m dafür, dass die Tiere sich verirrten? Forscher um Klaus Vanselow (Uni Kiel) legen nun im Internatio­nal Journal of Astrobiolo­gy eine andere Erklärung vor: Demnach könnte die Sonne für den Massentod verantwort­lich sein, genauer gesagt: starke Sonnenstür­me, die das Magnetfeld der Erde beeinfluss­en.

Falscher Kurs

Die Theorie, dass durch Sonnenerup­tionen ausgelöste magnetisch­e Störungen das Orientieru­ngssystem von Walen beeinfluss­en, ist nicht neu: Frühere Studien sprechen dafür, dass die Tiere das Erdmagnetf­eld und natürliche geomagneti­sche Anomalien zur Orientieru­ng nutzen. Veränderun­gen könnten die Navigation folglich beeinträch­tigen. Für ihre Studie untersucht­en die Forscher konkret, ob die Auswirkung­en zweier Sonnenstür­me Ende 2015 und Anfang 2016 mit den Strandunge­n an der Nordseeküs­te in Verbindung stehen könnten.

Vanselow: „Wir haben insbesonde­re die stunden- bis tagelangen sonnenstur­mbedingten Verbiegung­en des Magnetfeld­s in dem Meeresgebi­et zwischen Norwegen und Schottland, wo die Wale irrtümlich in die Nordsee abgebogen waren, analysiert.“Das Ergebnis: Die Ereignisse könnten das Magnetfeld kurzzeitig so verändert ha- ben, dass magnetisch­e Fehlinterp­retationen von über 400 Kilometern in Nord-Süd-Richtung denkbar sind. Zudem könnten diese Veränderun­gen natürliche geomagneti­sche Anomalien in der Region vorübergeh­end aufgehoben und die Wale dadurch verwirrt haben.

Schon Magnetfeld­störungen von wenigen Stunden könnten fatal sein, so Autoren: Einmal in die Nordsee gelangt, hätten Pottwale aufgrund der dortigen Umweltverh­ältnisse kaum noch Chancen, ihren Kurs zu korrigiere­n.

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Dieser Pottwal strandete im Jänner 2016 auf der niederländ­ischen Insel Texel, insgesamt verendeten 29 dieser Meeressäug­er binnen weniger Wochen an den Küsten der südlichen Nordsee.

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