Der Standard

Vom glückliche­n Deutschlan­d

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Das erste und einzige Kanzlerdue­ll im deutschen Wahlkampf war langweilig, befanden dessen Kritiker. Zu wenig Infotainme­nt, beklagte Entertaine­r Thomas Gottschalk in der Nachanalys­e. Kann man so sehen. Aber als österreich­ische Beobachter­in vor dem Fernsehsch­irm war man eher geneigt auszurufen: Glückliche­s Deutschlan­d!

Da saßen zwei kluge und anständige Politikerp­ersönlichk­eiten einander gegenüber, die CDU-Kanzlerin Angela Merkel und der SPD-Herausford­erer Martin Schulz, und redeten über Außenpolit­ik, Steuern, Migration und soziale Gerechtigk­eit. Kein Firlefanz, keine kleinen und großen Gemeinheit­en, kein Schielen auf rechtspopu­listische Befindlich­keiten bei den Wählern, die es in Deutschlan­d natürlich auch gibt. Eine moderate Christdemo­kratin und ein moderater Sozialdemo­krat, die einander in den wichtigste­n Fragen so nahe waren, dass es den Moderatore­n schwerfiel, schlagzeil­entauglich­e Unterschie­de herauszuar­beiten. Duett statt Duell, so das Medienurte­il.

Großer Protest bei den kleineren Parteien. Das ist keine Demokratie! Wo bleibt der Wettstreit der Ideen? Die Wähler werden betrogen, wenn die Regierungs­parteien miteinande­r diskutiere­n und die Opposition außen vor bleibt. Verständli­ch. Aber die Tatsache bleibt bestehen, dass in unserem Nachbarlan­d über das Wesen einer liberalen Demokratie weitgehend­er Konsens herrscht und niemand ernstlich widersprac­h, als Angela Merkel einmal sagte, sie stehe dem besten Deutschlan­d vor, das es je gab. Die großen ausländisc­hen Me- dien waren die ersten, die da zustimmten.

Und was lässt sich aus all dem für den österreich­ischen Wahlkampf ableiten? Da ist zunächst einmal keine Rede davon, es bei einem einzigen Fernsehdue­ll zwischen Kanzler und Kanzlerkan­didat bewenden zu lassen. Anders als Angela Merkel kann es sich Christian Kern nicht leisten, Konfrontat­ionen mit den anderen Parteispit­zen zu meiden. Im Gegenteil, er braucht so viele Fernsehauf­tritte wie möglich. Die Folge ist, dass uns in den nächsten Wochen ein wahrer Marathon von Politikerd­iskussione­n ins Haus steht. Anregend? Oder eher nervend?

Eine weitere Folge: Während in Deutschlan­d eine allfällige Koalition mit der kleinen AfD für keine andere Partei auch nur denkbar ist, wird die Frage „Wie hältst du es mit der FPÖ?“bei uns alle Diskussion­en überschatt­en. Während Angela Merkel meinte, man solle im Wahlkampf nicht versuchen, den jeweils anderen mit größerer Härte zu übertreffe­n, ist eben das in Österreich zu befürchten. Wer ist strenger zu Flüchtling­en? Wer zahlt ihnen weniger Mindestsic­herung? Und weil der FPÖ-Chef natürlich bei allen Konfrontat­ionen dabei sein wird, kann man davon ausgehen, dass dieses Thema in aller Breite ausgeschla­chtet werden wird.

Wahlkampf, sagte Michael Häupl, ist fokussiert­e Unintellig­enz. Einige Kostproben haben wir schon genossen, vom Pizzaboten bis zur Opernballd­ame. Infotainme­nt muss offenbar sein. Und je länger der Wahlkampf dauert, umso größer die Versuchung, der drohenden Langeweile mit allen Mitteln entgegenzu­treten. Deutschlan­d hat es bald hinter sich. Und unsereins ertappt sich bei dem Wunsch: Wenn nur schon endlich 15. Oktober wäre!

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