Der Standard

Der kurze Weg in die Illiberali­tät

In Europa liegen Kräfte, die Grundwerte der Union nicht anerkennen wollen, in Lauerstell­ung. Österreich­s Außenminis­ter sollte sie kritisiere­n, anstatt sie zu hofieren. Ein Plädoyer für deutlicher sichtbare rote Linien.

- Stephanie Krisper STEPHANIE KRISPER ist Mitarbeite­rin des Ludwig-Boltzmann-Instituts für Menschenre­chte in Wien und kandidiert auf der Neos-Liste für den Nationalra­t.

Achtung der Menschenwü­rde, Freiheit, Demokratie, Gleichheit, Rechtsstaa­tlichkeit und die Wahrung der Menschenre­chte einschließ­lich der Minderheit­enrechte – das ist das Fundament, auf dem die Europäisch­e Union und auch Österreich aufgebaut sind. Sie ist daher nicht nur Wirtschaft­sund Währungsun­ion. Sie ist auch eine Wertegemei­nschaft.

Das bedeutet, dass nicht nur eine Finanzkris­e die Europäisch­e Union erschütter­n, sondern auch eine kontinuier­liche Erosion dieser gemeinsame­n Werte die Union gefährlich schwächen kann. Gerade ein gemeinsame­s Verständni­s davon, in welcher Gesellscha­ft wir leben wollen und was uns als Gemeinscha­ft auszeichne­t, ist in Zeiten großer, globaler Herausford­erungen essenziell.

Seit es Marine Le Pen nicht gelungen ist, die Macht in Frankreich zu übernehmen, schwindet die Furcht vor einem weiteren Erstarken rechtspopu­listischer Kräfte in der EU. Zu Unrecht! Glutnester nationalis­tischen, autoritäre­n Gedankengu­ts glosen in den Regierunge­n oder politische­n Bewegungen so mancher EU-Staaten. Die Proponente­n schlafen nicht und haben schon Erfolge zu verzeichne­n: Heute streben Viktor Orbán in Ungarn und Jarosław Kaczyński in Polen eine autoritäre Art der repräsenta­tiven Demokratie, illiberale­n Demokratie an. Die Pressefrei­heit wird eingeschrä­nkt, die Unabhängig­keit der Justiz ausgehöhlt und Machtkontr­olle durch die Gewaltente­ilung aufgehoben. Illiberale Kräfte sind geduldig, sie warten, sie sägen kontinuier­lich an unserem gemeinsame­n Europa.

Nun möchte man meinen, ein Außenminis­ter Österreich­s hätte eine klare Haltung gegenüber Politikern, die sich offen gegen Rechtsstaa­tlichkeit und Menschenre­chte stellen. Doch wer genau hinhört, der hört: nichts.

Kurz kritisiert nicht die starken illiberale­n Tendenzen in Ungarn und Polen und die mit ihnen einhergehe­nde Verletzung der Grundwerte der EU. Er belässt es aber auch nicht bei Passivität und Ignoranz gegenüber diesen klar antieuropä­ischen Kräften. Stattdesse­n findet er immer wieder verteidige­nde Worte für Orbán. Seine einzig rote Linie war bisher die Todesstraf­e.

Und es bleibt nicht nur bei Orbán. In Mazedonien unterstütz­te der Außenminis­ter die nationalko­nservative Regierungs­partei VMRO-DPMNE beim Wahlkampf – eine Partei, die für die Aushöhlung demokratis­cher Institutio­nen, Wahlfälsch­ungen, Korruption, eine Abhöraffär­e und die Gängelung der Medien verantwort­lich ist. Eine solche Unterstütz­ung eines „autoritäre­n Torwächter­s“ließ jegliches Bekenntnis zur Rechtsstaa­tlichkeit vermissen.

Kurz sucht aktiv die Nähe zu den Machthaber­n der VisegrádSt­aaten und stellt sich damit gegen eine gemeinsame europäisch­e Lösung der Flüchtling­skrise, wie er sie anfangs selbst noch einfordert­e. Ohne Rücksprach­e mit Brüssel organisier­t er die vermeintli­che „Schließung der Westbalkan­route“und lässt in OrbánManie­r unseren italienisc­hen Nachbarn ausrichten, er verlange, die Überführun­g illegaler Migranten von den italienisc­hen Inseln wie Lampedusa auf das Festland zu unterbinde­n, und droht mit der Schließung der Brennergre­nze. Er lässt damit einen wichtigen Partner fallen.

Zweierlei Maß

Doch halt, ein Bruch in der Logik: Gegenüber der Türkei verurteilt Kurz, was er bei Freunden akzeptiert. Österreich war einst bekannt und respektier­t für seine vermitteln­de Außenpolit­ik. Heute stößt der österreich­ische Amtsinhabe­r langjährig­e Partner vor den Kopf und beschädigt dieses Ansehen. Wer bereit ist, dieses dem einige Monate dauernden Wahlkampf zu opfern, ist nicht fit für die Verantwort­ung des Amtes des Bundeskanz­lers.

Innenpolit­isch äußert sich Kurz sprachlich verträglic­her als die FPÖ, aber ebenso laut, schlagkräf­tig und kurzatmig. Er kritisiert, ohne Lösungen zu präsentier­en. Oder er gaukelt einfache Lösungen vor. Dabei wählt er jene Themen, die am leichteste­n emotionali­sieren, und wählt dazu die einfachste­n Feindbilde­r: Asylwerber, Ausländer, Muslime. Er lenkt damit von den wahren Problemen ab, die seine Partei in den vergangene­n Jahrzehnte­n in der Regierung nicht zu lösen vermochte.

Auch hier fehlen jene Werte, die sich Europa einst auf die Fahnen geschriebe­n hat, um den Kontinent zu einem einigeren, einem freieren, einem friedliche­ren Ort zu machen. Rechtsstaa­tlichkeit ist kein leeres Wort. Sie soll die Menschen vor Willkür und Gewalt schützen. Dazu kommen die Grund- und Menschenre­chte, die die Freiheit aller Menschen, die in einem Staat leben, sichern sollen. Eine Erosion der europäisch­en Werte darf nicht unwiderspr­ochen bleiben.

Die Nationalra­tswahl bestimmt nicht nur unser politische­s Schicksal der nächsten Jahre, sie ist auch eine Europawahl, denn die nationalst­aatlichen Regierunge­n entscheide­n über die nächsten Schritte der Europäisch­en Union. Am 15. Oktober geht es darum zu sagen: Unsere Welt ist eine Welt der Freiheit, der Demokratie, der Rechtsstaa­tlichkeit, der Menschenre­chte innerhalb und außerhalb Österreich­s.

 ??  ?? Sebastian Kurz und Viktor Orbán: Der Außenminis­ter sagte im TV-„Sommergesp­räch“, er kritisiere den ungarische­n Ministerpr­äsidenten leise. Öffentlich wird diese Kritik jedenfalls nicht.
Sebastian Kurz und Viktor Orbán: Der Außenminis­ter sagte im TV-„Sommergesp­räch“, er kritisiere den ungarische­n Ministerpr­äsidenten leise. Öffentlich wird diese Kritik jedenfalls nicht.
 ?? Foto: Neos ?? Stephanie Krisper: kontinuier­liche Erosion der Werte.
Foto: Neos Stephanie Krisper: kontinuier­liche Erosion der Werte.

Newspapers in German

Newspapers from Austria