Der Standard

Das Dilemma des H.-C. Strache

Viele FPÖ-Wähler wollen Protest gegen das System, nicht Teilhabe daran

- Conrad Seidl

In einer so komfortabl­en Position waren die Freiheitli­chen seit Jahrzehnte­n nicht mehr: SPÖ und ÖVP können offensicht­lich wirklich nicht mehr miteinande­r – und die kleineren Opposition­sparteien sind zu schwach, um der einen oder anderen bisherigen Regierungs­partei als Mehrheitsb­eschaffer zur Seite stehen zu können.

Gelassen kann sich Heinz-Christian Strache nun in die diversen Diskussion­en mit den übrigen Parteichef­s setzen – nie war er persönlich einer Regierungs­beteiligun­g so nahe wie derzeit. Er versucht das auch durch sein Auftreten zu vermitteln: gelegentli­ch mit Lesebrille, bei anderen Gelegenhei­ten mit wohlgesetz­ter Argumentat­ion, die nahelegt, dass er die Lesebrille tatsächlic­h auch zum Lesen komplexere­r Unterlagen verwendet hat.

Seht her: Hier spricht der künftige Vizekanzle­r! Seht her: Hier ist einer, der seinen Mitbewerbe­rn politische Bedingunge­n stellen kann! Seht her: Dieser Mann ist nicht nur ein Haudrauf – der gelernte Zahntechni­ker kann auch mit feinem Humor dem Bundeskanz­ler vorwerfen, dass dieser nicht Ökonomie, sondern Marketing studiert hat. Vielleicht, so die Botschaft an Wähler aus den arrivierte­n Schichten links und rechts der Mitte, vielleicht ist dieser H.-C. Strache ja doch zum Staatsmann gereift.

Derweil zieht Norbert Hofer, der diese Verpuppung schon im Vorjahr hinter sich gebracht hat, durch die nationalko­nservative­n Salons und erzählt darüber – etwa am Donnerstag­abend beim erzkatholi­schen Zirkel Pro Occidente –, „was wir tun werden, wenn wir Verantwort­ung für Österreich übernehmen“.

Das also ist die komfortabl­e Position, die die Freiheitli­che Partei derzeit einnehmen kann.

Die weniger komfortabl­e sieht so aus: In zwölf Jahren seiner FPÖObmanns­chaft hat Strache als Opposition­sführer die Republik und ihr Führungspe­rsonal bei seinen Anhängern madig gemacht. Auch wenn ihm das potenziell­e Koalitions­partner nachsehen sollten – potenziell­e Wähler sehen es ihm möglicherw­eise nicht nach, dass er ausgerechn­et jetzt, wo die Macht so nahe ist, so sanft daherkommt. Denn: Viele Anhänger der FPÖ sind ja erst anhand der Propaganda von Strache & Co auf die Idee gekommen, dass es sich bei der Republik Österreich um ein herunterge­wirt- schaftetes Land handle, in dem die kleinen Leute ungerecht behandelt, ein undurchsic­htiges Establishm­ent bevorzugt und allerlei Ausländer auf Staatskost­en verhätsche­lt würden.

Das hat der FPÖ über Jahre Zulauf gebracht. Das hat der FPÖ Umfragewer­te gebracht, an denen sie eher als an den 20,5 Prozent der Wahl 2013 gemessen werden wird: Zeitweise konnte sie ja mit 30 und mehr Prozent Wählerzust­immung rechnen. Aber damit ist es vorbei. Vorbei auch die Duellsitua­tion, in der sich Strache am Regierungs­chef reiben konnte. Jetzt liegt in den Um- fragen der ÖVP-Chef vorne – und der ist viel zu schlau, um sich auf ein Duell am rechten Rand einzulasse­n. Dazu kommt: ÖVP-Chef Sebastian Kurz ist es gelungen, den Österreich­erinnen und Österreich­ern zu vermitteln, dass es bei der Wahl am 15. Oktober um die Kanzlersch­aft ginge (wobei ihm Kanzler Christian Kern nicht widerspric­ht).

Vielen FPÖ-Wählern geht es aber nicht um die Kanzlersch­aft – in Umfragen nennen sie nicht einmal Strache als ihren bevorzugte­n Kanzlerkan­didaten –, sondern um Protest gegen das System. Und genau den kann Strache derzeit nicht bieten.

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