Der Standard

Christian Kern, der Zauberlehr­ling

Spät, aber doch versucht es die SPÖ mit einer Zuspitzung im Wahlkampf. Wieder einmal soll das schwarzbla­ue Gespenst Platz eins retten. Aber funktionie­rt das Rezept von Häupl und Faymann auch bei Kern?

- Thomas Hofer

Es passierte auf dem Höhepunkt des Präsidents­chaftswahl­kampfs: Kanzlerber­ater Tal Silberstei­n war sich (zu Recht) sicher, dass Alexander Van der Bellen in die Hofburg einziehen würde. Die SPÖ lag in Umfragen hinter der FPÖ und vor ihrem Partner ÖVP. Christian Kerns Werte aber waren sensatione­ll. Eine Umfrage des STANDARD sah ihn in der Kanzlerfra­ge bei 42 Prozent und damit doppelt so stark wie Heinz-Christian Strache.

Berauscht von der eigenen Wirkkraft schickte sich der Kanzler an, den ersten Entwurf seines Wahlprogra­mms, den „Plan A“, aus dem Hut zu zaubern. Im Vorbeigehe­n versuchten sich seine Strategen am nächsten Zaubertric­k: das Verhältnis zu FPÖ-Wäh- lern zu entkrampfe­n. Das sollte das Eindringen in diese Wählerschi­cht ermögliche­n, die SPÖ bei künftigen Regierungs­verhandlun­gen aber auch aus der Geiselhaft der ÖVP befreien. Die blaue Option, unterstütz­t durch einen Kriterienk­atalog, behutsam aufzubauen war das Gebot der Stunde.

Bei einer Ö1-Debatte geriet das Manöver allerdings zur allzu engen Umarmung des ehemaligen roten Gottseibei­uns. Der Kanzler schwadroni­erte vom „gemeinsame­n Bier“mit Strache und lobte die „amikale“Atmosphäre. Politisch gipfelte der patscherte Annäherung­sversuch in der Aussage, dass Kern es „respektier­e, dass es Herrn Strache auch nur darum geht, das Land voranzubri­ngen“.

Neuneinhal­b Monate später wird das Techtelmec­htel offenbar für beendet erklärt. Mit dem Mut der Verzweiflu­ng versuchte Kern beim Wahlkampfa­uftakt das Gespenst einer schwarz-blauen Bundesregi­erung auferstehe­n zu lassen. Angesichts mancher das Land bis heute beschäftig­enden Erinnerung­sstücke an die Jahre 2000–2006 war das bisher kein schlechter Ansatz.

Werner Faymann, dessen Vertraute heute eher dem gar nicht kleinen rot-blauen Lager in der SPÖ zugerechne­t werden, stand als Kanzler kaum für Inhalte. Aber seine Anti-FPÖ-Linie hielt er.

2015 schleppte sich ein müder Michael Häupl nach fünf eher ereignislo­sen Jahren in Richtung Landtagswa­hlkampf. Die rotblaue Regierungs­bildung im Burgenland ließ erst wenig Hoffnung aufkeimen. Doch Häupl mimte den perfekten Anti-Strache. Und gewann deutlicher als gedacht.

Diese Zuspitzung kriegt Kern kaum mehr hin. Die Geister, die er mit dem Strache-Satz gerufen hat, wird er jetzt schwer los. Wer soll bei jemandem Schutz vor Schwarz-Blau suchen, der lange mit der rot-blauen Option gespielt hat? Häupls Volte brachte potenziell­e Grün- und sogar ÖVP- und Neos-Wähler dazu, die SPÖ zu wählen, um Strache zu verhindern. Kerns Ansage, als Zweiter in Opposition zu gehen, schreckt vergleichs­weise wenig. Einmal hat die mobilisier­ende Horror- vision eines Kanzlers Strache an Zugkraft eingebüßt. Die Umfragen führt mit Sebastian Kurz ja einer an, der zwar Ähnliches sagt wie Strache, das aber sozial deutlich verträglic­her. Gerade strategisc­h motivierte Wähler rechnen zudem mit der Option, dass Kern die Entscheidu­ng über einen Gang in die Opposition gar nicht mehr treffen wird. Auch in der SPÖ befinden sich einige Funktionär­e eher im Kommentier­ungs- als im Mobilisier­ungsmodus. Und gar nicht wenige stellen sich mental schon auf eine Zeit mit Hans Peter Doskozil an der Parteispit­ze ein.

Der weiterhin Fragen offenlasse­nde Zickzackku­rs der SPÖ in Sachen Rot-Blau reiht sich ein in eine Serie an Positionie­rungsfehle­rn. Der Start des Kanzlers war toll, gespickt mit geschliffe­nen Reden. Doch dann startete der SPÖ-Vorsitzend­e seine Irrfahrt durch die Politiklan­dschaft. Am Beginn war der Sozialdemo­krat Kern selbst für wirtschaft­saffine Schichten ein Held. Die verprellte er mit dem unnötigen Sager von der „Maschinens­teuer“. Bei Ceta jazzte er die parteiinte­rne AntiStimmu­ng mit Suggestivf­ragen hoch, wissend, dass er wenig später auf EU-Ebene seinen Sanktus geben werde. Auch die Wahlkampfl­inie ist nicht schlüssig: Die SPÖ argumentie­rt, dass der Aufschwung (wegen des Kanzlers) da sei, aber nicht bei den Menschen ankomme. Bleibt die Frage, warum er nicht dafür gesorgt hat.

Bislang fehlte dem fußballbeg­eisterten Kanzler der Zug zum Tor. Am Tag von Reinhold Mitterlehn­ers Rücktritt (und dessen Abrechnung mit Kurz) bot Kern dem Außenminis­ter blauäugig eine „Reformpart­nerschaft“an. Dabei war klar, dass dieser aus Mangel an Alternativ­en die Neuwahlkar­te ziehen musste. Anstatt die Führung an sich zu reißen und der

Interpreta­tion vom „schwarzen Knittelfel­d“und den „Sprengmeis­tern“Wolfgang Sobotka und Kurz zum Durchbruch zu verhelfen und so Kurz früh zu einem Wolfgang Schüssel II zu stempeln, ließ sich Kern treiben – und wurde zum Getriebene­n. Zum Unvermögen gesellte sich freilich auch Pech, denn mit der Liste Pilz formte sich ein Auffangbec­ken, gerade für unentschlo­ssene Grün- und SPÖ-Sympathisa­nten.

Ist die Sache gelaufen? Das nicht. Aber der Kanzler muss auf das Prinzip Hoffnung setzen: darauf, dass die Geschlosse­nheit vergangene­r Tage doch noch über seine Partei kommt; darauf, dass Pilz ohne TV-Präsenz doch noch abfällt; darauf, dass die FPÖ einige ihrer an die ÖVP verlorenen Wähler zurückerob­ert – und darauf, dass Umfragekai­ser Kurz in der finalen Phase Fehler macht

THOMAS HOFER ist Politikber­ater in Wien. Der ehemalige Journalist hat zahlreiche Bücher zu heimischen Wahlkämpfe­n veröffentl­icht. Cartoon: Rudi Klein (www.kleinteile.at)

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Schwarz und Blau mögen kleidsame Farben sein. Schwarz-Blau dagegen ist neuerdings wieder eine Horrorvisi­on in der SPÖ. Dabei hatte doch vor allem Hans Peter Doskozil seinem Kanzler und Parteichef Ende 2016 die Augen geöffnet und ihm perspektiv­isch...
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Foto: APA Thomas Hofer: Stellungsf­ehler und kein Zug zum Tor.

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