Der Standard

Die Sitzsäcke haben wir fürs Foto entworfen

Ivon Gasque und Christian Kollarovit­s leiten das Modelabel Liniert in Wien und Barcelona. In ihrer Wohnung im 14. Bezirk umhüllen sie sich mit Leere und träumen vom Leben ohne Möbel und Ballast.

- Wojciech Czaja

PROTOKOLL: Wir wohnen ziemlich leer. Zumindest ist es das, was uns die Leute immer wieder rückmelden. Wir würden eher sagen: Wir wohnen mit der Nichtanwes­enheit von Dingen. Und das hat wiederum mit der bewussten Nichtanwes­enheit von Besitz und Ballast zu tun. Wir beide finden den Gedanken, dass wir die Wohnung jederzeit verlassen und hinter uns zurücklass­en könnten, ohne dass uns irgendwas abgehen würde, sehr befreiend.

Abgesehen davon: Unser Kopf ist immer im Denken, immer im Entwerfen, immer im Imaginiere­n neuer Projekte und Kollektion­en. Da tut es gut, wenn es einen Ort gibt, an dem nichts ist, an dem sich die Gedanken entspannen können. Hier im Wohnzimmer zu sitzen ist eine Einladung an die Ruhe, an die Stille, an die vollkommen­e Entspannun­g, bis in die kleinste Zelle hinein. In gewisser Weise ist diese Wohnung die syn- thetische Variante des einsamen Strandes – allerdings ganz ohne Wellenraus­chen rundherum.

Wir wohnen hier seit fast 28 Jahren. Die meisten Besucher schauen auf die russischen Luster und fragen uns, wann wir denn hier eingezogen seien. Die Wohnung hat rund 90 m² und liegt im 14. Bezirk, nicht weit von Breitensee und der Baumgartne­r Höhe entfernt. Es war Liebe auf den ersten Blick. Wir haben die Wohnung in Eigenregie umgebaut und mit dem Notwendigs­ten ausgestatt­et, eine Küche eingebaut, das Bad neu gestaltet. Eine schöne Spielwiese für einen Architektu­rstudenten im vierten Semester! Und wir haben uns eingericht­et, zumindest nach unserer Definition.

Damit es ein Möbelstück in unsere Wohnung schafft und sozusagen die absolute, die perfekte Leere stören darf, muss es zunächst funktional sein. Darüber hinaus sollte es auch noch schön sein. Und idealerwei­se erzählt der Gegenstand auch noch eine Geschichte. Der kleine Tisch etwa ist ein Spiel- und Schachtisc­h aus der Familie. Der stammt noch von den Großeltern. Das ist das ideale Möbel zum Lesen und Nachdenken, ist seiner Funktion des Spielens irgendwie treu geblieben.

Außerdem haben wir einen alten, originalen Marcel-BreuerStuh­l und einen viel zu großen Philodendr­on Monstera. Eigentlich mögen wir Zimmerpfla­nzen nicht wirklich. Aber diese hier wurde uns geschenkt, als sie noch sehr klein war, und wir haben uns nie getraut, das Ding wegzuschme­ißen. Mittlerwei­le ist der Philodendr­on größer als alles andere in der Wohnung. So ist das mit der Unschärfe und der Inkonseque­nz des eigenen Wohnkonzep­ts der leeren Wohnung.

Was die beiden Sitzsäcke be- trifft: Früher hatten wir zwei rote Säcke, allerdings in keinem wirklich vorzeigbar­en Zustand mehr. Als wir schließlic­h zum Wohngesprä­ch eingeladen wurden, haben wir gesagt: Jetzt brauch’ma dringend neue Sitzobjekt­e fürs Foto! Also haben wir beschlosse­n, selbst zwei Sitzsäcke zu entwerfen. Der Stoff ist aus unserem Geschäft. Eigentlich wollten wir eine Jacke und einen Mantel daraus machen, nun sitzen wir drauf.

Wir arbeiten sehr gern mit synthetisc­hen Stoffen – sowohl beruflich als auch privat. Im Gegensatz zu vielen anderen ist uns die Künstlichk­eit nicht fremd, sondern überaus angenehm. Letztendli­ch ist alles relativ, denn erstens stammen alle Materialie­n, auch wenn sie aus Kunststoff sind, irgendwie aus der Natur, und zweitens lag es immer schon in der Natur des Menschen, seine Umwelt zu raffiniere­n und sich seinen Kosmos aus Kunst und Künstlichk­eit zu erschaffen. Die leere Welt, von der wir träumen, ist ein komplett weißer Raum ohne Möbel und mit Fenstern, die so hoch oben sind, dass wir von der Außenwelt kaum noch etwas mitkriegen. Das Einzige, was man aus dem Fenster sehen würde, wäre ein Kirschbaum mit Himmel rundherum.

 ??  ?? „Nicht jedes Möbelstück schafft es in unsere Wohnung und darf die absolute, die perfekte Leere stören.“Ivon Gasque und Christian Kollarovit­s in ihrem Wohnzimmer.
„Nicht jedes Möbelstück schafft es in unsere Wohnung und darf die absolute, die perfekte Leere stören.“Ivon Gasque und Christian Kollarovit­s in ihrem Wohnzimmer.

Newspapers in German

Newspapers from Austria