Der Standard

„Der Klubzwang ist eine Einladung zum Nixtun“

Renée Schroeder, Achte auf der Bundeslist­e von Peter Pilz, über mögliche Pflichten für Flüchtling­e, religiöse Symbole in den Klassen und eine nötige Debatte über Genomediti­erung – Auftakt einer Interviews­erie mit aussichtsr­eichen Kandidaten für die Nation

- Nina Weißenstei­ner

INTERVIEW: STANDARD: Seit mehr als drei Jahrzehnte­n ist Peter Pilz der Gottseibei­uns der jeweiligen Regierungs­parteien. Sie haben mit ihm einst die Schulbank gedrückt – hat sich das schon als Bub abgezeichn­et? Schroeder: Eindeutig. Er war am Gymnasium in Bruck an der Mur in meiner Parallelkl­asse – und im Sommer 1968 haben wir schon am Hauptplatz Unterschri­ften für die Einführung des Zivildiens­ts gesammelt. Die Verweigeru­ng des Militärdie­nsts war ja noch mit Gefängniss­trafe bedroht. Ab und zu habe ich mit dem Peter aber auch Chemie gelernt, denn in dem Fach war er nicht sehr gut.

STANDARD: Als vielfach prämierte Biochemike­rin sind Sie heute mit 20.000 Euro zweitgrößt­e Geldgeberi­n seiner Partei und kandidiere­n auf Platz acht. Warum ist Ihnen dieses politische Projekt mit ungewissem Ausgang so viel wert? Schroeder: Als Wissenscha­fterin ist die Ungewisshe­it für mich kein Problem, da habe ich ohnehin eine hohe Frustratio­nsgrenze – und Spenden für einen guten Zweck tu’ ich prinzipiel­l gerne. Begonnen hat mein Eintreten für unsere Liste damit, dass ich mir ein Parlament ohne Peter Pilz gar nicht vorstellen kann. Denn in Österreich haben viel zu viele Menschen Angst, für ihre wahre Meinung einzutrete­n – und seinen Mut, sich nötigenfal­ls auch mit Obrigkeite­n anzulegen, finde ich enorm wichtig.

STANDARD: Wenn Sie den Einzug ins Parlament schaffen: Werden Sie Wissenscha­ftsspreche­rin – oder möchten Sie als prononcier­te Feministin Frauenbeau­ftragte werden? Schroeder: Im Nationalra­t wäre zuallerers­t Wissenscha­ft mein Gebiet, aber auch Ethik. Ich mag nicht, wie sich die Parteien im Parlament gegenseiti­g niedermach­en, und halte nichts vom Klubzwang für die Volksvertr­eter. Denn der ist eine Einladung zum Nixtun – und ich möchte eine breite Debatte über Genomediti­erung (neueste molekularb­iologische Methode zur DNA-Veränderun­g, Anm.) starten. Denn diese Technologi­e erlaubt neue Eingriffe bei Menschen, Tieren, Pflanzen – und ich möchte über Chancen, aber auch Risiken aufklären. Vor Anwendunge­n außerhalb der Forschung müsste sich daher jeder einzelne Abgeordnet­e damit beschäftig­en, wo er oder sie mitkann – und wo nicht.

STANDARD: Was wäre alles möglich, wenn man diese Technologi­e ausreizt? Schroeder: Im äußersten Fall lassen sich mit der Methode Menschen züchten und nicht nur Krankheite­n heilen. Eltern könnten sagen: „Ich möchte ein musikalisc­hes Kind – oder eines wie Hermann Maier.“Bei dieser Einstellun­g würde die Bildung enorm an Stellenwer­t verlieren.

STANDARD: Sie selbst sind in Brasilien geboren – was tun, um die vielen Asylwerber zu integriere­n? Schroeder: Anders als die Regierung sind für mich die Österreich­er ein Musterbeis­piel für den Umgang mit Asylwerber­n. Allein in Wien wohnen 60 Prozent von ihnen privat, ich selbst habe einen zwanzigjäh­rigen Afghanen aufgenomme­n. Aber machen wir uns nichts vor: In den nächsten 30 Jah- ren wird es bis zu drei Milliarden potenziell­e Flüchtling­e wegen Hunger und Krieg geben – und nur die Stärksten kommen nach Europa durch. Um auch den Braindrain zu stoppen, wäre mein Zugang, dass diejenigen, die hier sind, bestens integriert, aber dazu verpflicht­et werden, für die Zurückgebl­iebenen in ihrem Heimatland etwas zu tun.

STANDARD: Die geflüchtet­en Menschen sollen also konkrete Projekte vor Ort unterstütz­en? Schroeder: Genau, um ihren Landsleute­n, Familien zu helfen, damit es ihnen dort besser geht. Es gibt für dieses Problem nicht eine einzige Lösung, da sind unendlich viele Lösungen mit sehr unterschie­dlichen Ansätzen notwendig. Von Bildung über Gesundheit bis zur Beseitigun­g von Umweltschä­den und neuen wirtschaft­lichen Ideen.

STANDARD: Kardinal Christoph Schönborn haben Sie einmal erklärt: „Der erste Mann, den ich nicht mochte, war Gott!“Sind Sie für strikte säkulare Erziehung aller Kinder in den Schulen – egal, welchen Glaubens? Schroeder: Wenn die Schüler Religionsu­nterricht wollen, sollen sie den bekommen. Aber ich bin dafür, dass ihnen dabei Ursprung und Charakteri­stika aller Religionen nähergebra­cht werden – und dem wissenscha­ftlichen Ansatz gegenüberg­estellt wird.

STANDARD: Sie sind ergo für konfession­sübergreif­enden Unterricht? Schroeder: Ja, das soll zusammen erfolgen, all das kann man in einer Klasse gemeinsam unterricht­en.

STANDARD: Soll das Kreuz dennoch bleiben? Schroeder: Meinetwege­n, der Bundespräs­ident hängt ja auch an der Wand. Verbote sind in dem Fall schlecht. Aber ich finde, die Schüler sollten gemeinsam entscheide­n, wie sie die Klasse dekorieren. Daher sollte auch die Freiheit für das Zeigen aller religiösen und nichtrelig­iösen Symbole da sein.

RENÉE SCHROEDER (64), geboren in Brasilien, ist Professori­n am Department für Biochemie der Max F. Perutz Laboratori­es, eines Joint Venture der Uni Wien und der Med-Uni Wien. 2003 erhielt sie den Wittgenste­inpreis, ihr wichtigste­r Forschungs­schwerpunk­t ist die Ribonuklei­nsäure.

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Will integriert­e Flüchtling­e dazu verpflicht­en, „für die in ihrem Heimatland Zurückgebl­iebenen etwas zu tun“: Renée Schroeder, Mitstreite­rin von Peter Pilz seit Jugendtage­n und nun Listenacht­e.

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