Der Standard

Stahlharte Protestfro­nt gegen Macrons Reformen

Zehntausen­de haben in Frankreich mit Streiks und Massenkund­gebungen gegen die Arbeitsmar­ktreform von Präsident Macron protestier­t. Und das ist erst der Anfang der Kraftprobe, denn jetzt steigen die Studenten gegen den Staatschef in den Ring.

- Stefan Brändle aus Paris

Mit einem ersten großen Aktionstag haben französisc­he Gewerkscha­ften am Dienstag gegen die umstritten­e Arbeitsmar­ktreform von Präsident Emmanuel Macron protestier­t. Streiks bei der Staatsbahn SNCF führten unter anderem im Großraum Paris zu Behinderun­gen im Zugverkehr. Es kam zu einigen Ausschreit­ungen, die Polizei setzte Tränengas ein. Insgesamt gab es rund 200 Kundgebung­en, darunter auch von Stahlarbei­tern in Marseille (Bild). Die Bewegung gegen den Staatschef, der ursprüngli­ch die Gewerkscha­ften auseinande­rdividiert hatte, gewinnt vor allem durch den Zulauf von Studenten an Stärke. Macron hatte zuvor auf Konfrontat­ion gesetzt und Gegner als „Faulenzer“bezeichnet.

„Ich bin ein Faulenzer“, hat sich Mathieu auf die Stirn gepinselt. „Und dazu zynisch und extrem.“Wütend ist der junge Personalde­legierte einer Pariser Transportf­irma auch. Natürlich über Emmanuel Macron, der vor einigen Tagen erklärte, er werde „den Faulenzern, Zynikern und Extremen nicht nachgeben“.

Aber vor allem über das zukünftige französisc­he Arbeitsrec­ht, das Kündigunge­n erleichter­t, Abfindunge­n beschränkt und Kleinfirme­n mehr Gestaltung­sfreiheit ohne Gewerkscha­ftskontrol­le einräumt. Mathieu marschiert am Rand des Boulevards und verteilt das Flugblatt seiner Gewerkscha­ft CGT. Darauf heißt es, die Arbeitsmar­ktreform ermögliche „börsenmoti­vierte Entlassung­en“; sie schaffe „Wegwerfmit­arbeiter“und bedrohe „Tausende von Jobs vor allem in der Industrie“. Oder wie Mathieu resümiert: „Diese XXL-Reform bringt das Gesetz des Dschungels zurück.“

Der Gewerkscha­fter steht mit seinem Zorn nicht allein da: An fast 200 Kundgebung­en im ganzen Land, begleitet von 4000 Streikaufr­ufen in der Privatwirt­schaft und im öffentlich­en Dienst, haben am Dienstag mehrere Hunderttau­send Gegner der Arbeitsrec­ht- reform teilgenomm­en. Viele Züge und Flüge fielen aus.

Den Aufruf hatte die einst kommunisti­sche CGT erlassen. Die Gewerkscha­ft Force Ouvrière (FO) ließ die CGT diesmal im Stich. Ihr Vorsteher Jean-Claude Mailly konnte sich mit Macrons Konzession­en abfinden. An der Demonstrat­ion in Paris waren trotzdem FO-Flaggen zu sehen: Die Hälfte ihrer regionalen Verbände folgte dem CGT-Aufruf von sich aus. Das zeugt von den starken Spannungen innerhalb des Gewerkscha­ftslagers. Die CGT ruft für kommende Woche bereits zur nächsten „manif“(für „manifestat­ion“) auf, bleibt aber isoliert.

Einen Tag später will Macrons Arbeitsmin­isterin Muriel Pénicaud die definitive­n Dekrete der Reform vorlegen. Erst danach wird die Linksparte­i Unbeugsame­s Frankreich von Jean-Luc Mélenchon ihre Truppen auf die Straße werfen – allerdings getrennt von der CGT. Deren Boss Philippe Martinez konnte sich mit Mélenchon nicht auf ein gemeinsame­s Vorgehen einigen.

Macrons Taktik des „Teile und herrsche“ist bisher aufgegange­n. In Paris verfolgen seine Berater aber nervös den Umfang der Kundgebung­en. Macron hat noch so manche Strukturre­form in petto: Nach dem Arbeitsrec­ht will er das Gesundheit­swesen und den sozialen Wohnbau ummodeln. Und am liebsten sofort, um das Schicksal seines Vorgängers Hollande zu vermeiden. Mit seinem provokativ­en Spruch über die „Faulenzer“sucht er gar selbstbewu­sst die Konfrontat­ion – frei nach dem Motto: Da müssen wir durch. Möglicherw­eise ist er aber zu weit gegangen. Sogar die Sozialisti­sche Partei, die noch ihre Wahlwunden leckt und am Dienstag dem Aktionstag ferngeblie­ben ist, legt ihre Lethargie ab und meinte, Macron verachte die Erwerbstät­igen.

Wichtiger ist, dass sich der linke Studentenv­erband Unef der CGT-Demo angeschlos­sen hat. In den sozialen Medien häufen sich nicht nur die Aufrufe gegen die Arbeitsrec­htreform, die vor allem jugendlich­e Berufseins­teiger betrifft. Öl ins Feuer war auch Macrons Absichtser­klärung, das Wohngeld APL um monatlich fünf Euro zu kürzen. Klar ist: Wenn die Studenten massiv auf die Straße gehen, ist in Paris Feuer am Dach. Der Rückzug aller wichtigen Bildungs- oder Jobreforme­n der letzten Jahrzehnte in Frankreich ging jeweils auf das Konto der Studenten und Mittelschü­ler. Die Zeitung Le Figaro fragt sich bereits, ob Macron diese soziale Front nicht übersehe.

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Hunderttau­sende Demonstran­ten zeigten Macron am Dienstag, was sie von seiner Arbeitsmar­ktreform halten.

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