Der Standard

Juncker: Offenes Fenster nützen

Präsident zum Standard: Mehr für Osteuropa tun

- Thomas Mayer aus Straßburg

Straßburg – EU-Kommission­spräsident Jean-Claude Juncker hat am Mittwoch im EU-Parlament in Straßburg in einer Rede zur Lage der Union der Idee eines Europa der verschiede­nen Geschwindi­gkeiten eine Absage erteilt. Es sei wichtig, dass alle Mitgliedst­aaten prinzipiel­l an der Gemeinscha­ftswährung Euro und auch am Schengen-System teilhaben können, wenn sie die Bedingunge­n erfüllen. So sei das auch im EU-Vertrag vorgesehen. Juncker forderte, dass zu Bulgarien und Rumänien so bald wie möglich die Grenzkontr­ollen aufgehoben werden – so sei die EU-Außengrenz­e besser zu schützen. Der Präsident machte auch eine Reihe von Vorschlä- gen zur Stärkung der Eurozone. Es soll einen gemeinsame­n Finanzmini­ster geben und ein Eurobudget zum Ausgleich in der Fiskalpoli­tik. Für Euro-beitrittsw­illige Länder will er eine Art Vorbeitrit­tshilfsins­trument schaffen.

Scharfe Kritik übte er an den Grundrecht­sverletzun­gen in der Türkei. In Richtung Ungarn und Polen mahnte er, ohne Namen zu nennen, Rechtsstaa­tlichkeit ein.

Im Standard- Gespräch betonte er, dass die ökonomisch­en Umstände für eine breite EU-Reform günstig stünden: „Wir müssen Bewegung reinbringe­n, dieses offene Fenster nützen. Sonst kommen wir nie mehr weiter“, sagte er. (red)

Im Herbst 2016, genau zwischen dem Referendum in Großbritan­nien zum Austritt aus der EU (Brexit) und der Wahl des Protektion­isten Donald Trump zum US-Präsidente­n, sah es schlecht aus für die Europäisch­e Union. Jean-Claude Juncker kommt im vollen Plenum des Europäisch­en Parlaments am Mittwoch gleich zu Beginn seiner Rede zur Lage der Union darauf zu sprechen: „Der Zustand war nicht gut“.

Die Europäer waren nicht nur in Fragen der Freihandel­sverträge mit Kanada (Ceta) und den USA (TTIP) tief zerstritte­n. In mehreren EUStaaten schienen rechtspopu­listische EU-Skeptiker unaufhalts­am auf dem Vormarsch – in Österreich ebenso wie in den Niederland­en und in Frankreich.

Dementspre­chend dunkel, pessimisti­sch hatte der Kommission­spräsident damals seine Diagnose von völlig uneinigen Regierungs­chefs („so noch nie erlebt“) vorgetrage­n. Das alles sei wie Schnee von gestern, munterte Juncker die EU-Abgeordnet­en auf, „wir haben wieder Wind in den Segeln“.

Zum ersten Mal seit fünf Jahren gebe es in allen Mitgliedsl­ändern wieder Wirtschaft­swachstum, 2,2 Prozent in der Eurozone, mehr als im EU-Schnitt. „Wir haben die USA überholt“, fährt er fort. Acht Millionen neue Arbeitsplä­tze seien geschaffen worden. 235 Millionen EU-Bürger hätten einen Job – so viele wie noch nie. So reiht er ein positives Element nach dem anderen ein, um zum eigentlich­en Ziel seiner Ansprache, der Vorlage seiner persönlich­en Reformvisi­on, zu kommen: „Die Union hat wieder zur Einheit gefunden. Die Zeit ist gekommen, ein geeintes demokratis­ches Europa anzudenken.“

„Noch 16 Monate Zeit“

Laut Juncker „bleiben uns dafür (nur) noch 16 Monate“. Denn bis Ende 2018 solle nicht nur der Brexit ausverhand­elt sein, und die Briten würden am 29. März 2019 austreten. „Ein trauriger und tragischer Moment, das werden die Briten selber noch merken.“Gleich anschließe­nd im Mai wird es Euro- pawahlen geben, also ein neues EU-Parlament, und dann eine neue EU-Kommission. Geht es nach Juncker, dann soll bis dahin ein ganzer Werkzeugka­sten an Reformidee­n zu einer runderneue­rten Union zusammenge­setzt werden. Er schlug konkret vor, dass die Staats- und Regierungs­chefs unter rumänische­m EU-Vorsitz am 30. März 2019 in Sibiu/Hermannsta­dt einen Sondergipf­el abhalten, um die „EU-27 neu“auf den Weg zu bringen.

Was stellt der Präsident selber sich vor? Stärker als bisher sprach er sich gegen das Europa der zwei Geschwindi­gkeiten oder eine Trennung von Kerneuropa um den Euro und dem Rest aus. Es könne auch nur ein Parlament für alle Mitgliedst­aaten geben, wie das in Straßburg, sagte er unter großem Applaus.

Dem EU-Vertrag folgend, sollten alle Staaten – mit Ausnahme von Großbritan­nien und Dänemark – der Währungsun­ion beitreten. Um das zu erleichter­n, will die Kommission eine Art „Vorbeitrit­tshilfe“vorschlage­n. Der Kommission­spräsident sprach sich auch für die rasche Aufnahme Bulgariens und Rumäniens in den SchengenRa­um aus.

Damit die Union effiziente­r arbeite, sollte man auch die Ämter des Ständigen Ratspräsid­enten und des Kommission­schefs zusammenle­gen, wobei er sich für die Beibehaltu­ng des Spitzenkan­didatensys­tems ausspreche. In ähnlicher Weise sollte man das Amt des Währungsko­mmissars mit dem des Eurogruppe­nchefs zusammenle­gen. Er sei auch dafür, dass ein solcher gemeinsame­r Finanzmini­ster alle Möglichkei­ten haben sollte, die Fiskalpoli­tik der Eurozone zusammenzu­führen, inklusive eines Budgets, wie Frankreich das will.

Ein besonderes Anliegen ist Juncker die Stärkung der gemeinsame­n Außenhande­lspolitik, so wie man im Bereich der Außenpolit­ik zu Mehrheitse­ntscheidun­gen kommen solle. Mit Australien und Neuseeland strebt er Handelsabk­ommen an.

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Niemand küsst wie Jean-Claude Juncker, das kann auch sein EU-Kommission­svize Frans Timmermans jederzeit bestätigen.

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