Der Standard

„Ich wollte bei der Türkei ganz klar sein“

Präsident Juncker im Standard- Gespräch: „Wir müssen das offene Fenster nützen“

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Straßburg – Jean-Claude Juncker sieht zufrieden aus. „Ich will eine solche Debatte jetzt nicht in Einzelteil­e zerlegen, sie ist als Gesamtes wichtig und so zu sehen“, sagt er auf die Frage, was für ihn bei der Aussprache mit den EU-Abgeordnet­en über seine Unionsrede der wichtigste Aspekt war. Es ist Mittwochna­chmittag. Der Kommission­spräsident hat Korrespond­enten mehrerer Medien aus Europa geladen, darunter Der Standard, Le Monde, Libération und Le Soir, um die Motivation­en in seinen Ausführung­en im Plenum zu erläutern. „Ich wollte aber vor allen eines aufzeigen: Wir müssen die Dinge jetzt in Bewegung bringen. Wenn wir dieses offene Fenster jetzt nicht nützen, dann kommen wir nie mehr weiter.“

Besondere Sorge bereite ihm, dass es zwischen den Mitgliedst­aaten im Westen und einigen in Osteuropa eine gewisse Spaltung gebe. Es war einigen Abgeordnet­en aufgefalle­n, dass der Präsident in Zusammenha­ng mit dem jüngsten Urteil des Europäisch­en Gerichtsho­fes (EuGH) zur Abweisung der Klage zu Ungarn und der Slowakei bzw. zu Verletzung­en der Rechtsstaa­tlichkeit in Polen sehr deutliche Worte gefunden hatte. Wie berichtet, hat der EuGH festgestel­lt, dass alle EU-Staaten zur solidarisc­hen Umsetzung der Flüchtling­squoten verpflicht­et seien – auch Ungarn und Polen, die sich weigern. Juncker betonte, ohne Länder beim Namen zu nennen: Rechtsstaa­tlichkeit in Europa bedeute, „rechtskräf­tige Urteile zu akzeptiere­n und zu respektier­en“. Dies nicht zu tun bedeute, die Unabhängig­keit von Gerichten zu untergrabe­n – das „heißt, die Bürgerinne­n und Bürger ihrer Grundrecht­e zu berauben“. Rechtsstaa­tlichkeit in der Union sei aber „keine Option. Sie ist Pflicht.“

Befragt, warum er Ungarn und Polen in diesem Konnex nicht genannt habe, sagte er, man müsse die Facetten sehen, „und ich wollte nicht provoziere­n“. Es sei klar, dass die EU-Verfahren gegen Polen etwa im Laufen seien. Es sei darum gegangen, die Werte in der Union besonders hervorzuhe­ben.

Beitritt ausgeschlo­ssen

Unmissvers­tändlich tat Juncker dies im Fall der Türkei, die sich „mit Riesenschr­itten“von der EU entferne. „Ich wollte diesbezügl­ich ganz klar sein“, erläutert er seine Ausführung­en, wonach eine EU-Mitgliedsc­haft „in absehbarer Zukunft auszuschli­eßen“sei.

Im Plenum hatte er an die Verantwort­lichen in der Türkei direkt appelliert und zuvor dargelegt, dass das Fundament der Union aus Freiheit, Gleichbere­chtigung und Rechtsstaa­t besteht: „Lassen Sie unsere Journalist­en frei, und nicht nur unsere Journalist­en! Hören Sie auf, unsere Mitgliedst­aaten und unsere Regierungs­chefs als Faschisten und Nazis zu beschimpfe­n!“Im Gespräch vermutet der Präsident, dass die Regierung in Ankara mit solchen Provokatio­nen „versucht, einen Weg zu finden, um Schuldige dafür zu finden, dass die Beitrittsv­erhandlung­en abgebroche­n wurden“– das alles „aus innenpolit­ischen Gründen“. Die Verhandlun­gen seien de facto auf Eis gelegt, erklärt er. Dass die Union die Gespräche formell nicht beende, liege vor allem daran, dass „außer Deutschlan­d und Österreich sich im Rat bisher niemand dafür ausgesproc­hen hat“.

Zu seinem Vorschlag, jenen EUStaaten, die dem Euro beitreten wollen, vorab „Hilfestell­ung bei der Vorbereitu­ng zu geben“, was in Deutschlan­d zu Kritik führte, meinte Juncker: Es gehe nicht darum, ein Land in den Euro zu zwingen. Vielmehr könne dies zu einer stabileren Gemeinscha­ft beitragen, so wie viele andere Maßnahmen bei der Vollendung der Wirtschaft­s-, Währungs- und Bankenunio­n. Besonders stößt er sich aber daran, dass gewisse Lebensmitt­el in Osteuropa bei gleicher Verpackung mindere Qualität haben. So sei in Fischstäbc­hen in der Slowakei weniger Fisch enthalten als in anderen Ländern.

Untragbar sei auch, dass Kinder in EU-Ländern an vermeidbar­en Krankheite­n sterben oder dass Regeln in der Arbeitswel­t nicht harmonisie­rt werden. Dafür wird die Kommission neue Aufsichtsb­ehörden vorschlage­n. (tom)

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Die EU ist eine große Baustelle – und Jean-Claude Juncker sieht sich als ihr Baumeister.

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