Der Standard

Auftragsve­rgabe „im Blindflug“

Während die Wirtschaft mehr und mehr digitalisi­ert wird, werden staatliche Auftragsve­rgaben teils gar nicht, teils nur auf Papier dokumentie­rt. Dabei handelt sich um ein Milliarden­volumen: 60 Milliarden Euro gab der öffentlich­e Sektor laut einer TU-Studie

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Wien – So gut und lückenlos dokumentie­rt wie der Auftrag über die Anschaffun­g von bis zu 45 UBahn-Zügen von Siemens für die Wiener Linien um 550 Millionen Euro ist nur die Minderheit der in Österreich von der öffentlich­en Hand, den Sozialvers­icherungen und den Staatsbetr­ieben vergebenen Aufträge. Von vielen anderen öffentlich­en Beschaffun­gen und Bestellung­en weiß man gar nichts oder erfährt davon erst im Nachhinein aus den Gebarungsa­bschlüssen der Gebietskör­perschafte­n.

Dabei geht es um Milliarden, öffentlich­e Aufträge sind ein Wirtschaft­sfaktor. Zu diesem Schluss kommt eine vom auf Abwicklung von Vergaben spezialisi­erten Auftragneh­merkataste­r Österreich (Ankö) bei der TU Wien beauftragt­e Erhebung des öffentlich­en Beschaffun­gsvolumens. Investitio­nen, Vorleistun­gen und soziale Sachleistu­ngen des Staates und ausgewählt­er öffentlich­er Unternehme­n beliefen sich demnach im Jahr 2015 auf 60,7 Milliarden Euro. Das ist fast ein Fünftel des Bruttoinla­ndsprodukt­es (BIP). Beschaffun­gen im Volumen von 45,5 Milliarden Euro nahmen staatliche Institutio­nen vor, rund 13 Milliarden ausgeglied­erte Einheiten von Bund und Ländern wie beispielsw­eise ÖBB oder Asfinag. Weitere zwei Milliarden Euro stammten von „Quasi-Kapitalge- sellschaft­en“oder auch börsennoti­erten Aktiengese­llschaften wie Energiever­sorger, Flughafen, Post, OMV oder Telekom Austria. Auch auf öffentlich­e Finanzieru­ng angewiesen­e Einrichtun­gen wie gemeinnütz­ige Bauvereini­gungen oder Krankenans­talten wurden erstmals erfasst.

Die österreich­ische Vergabepol­itik bewege sich mehr oder weniger im Blindflug, lautet eine der zentralen Aussagen der Studie, die von Johann Bröthaler vom Fachbereic­h Finanzwiss­enschaft und Infrastruk­turpolitik der Technische­n Universitä­t durchgefüh­rt wurde. „Ganz datenlos stehen Politik und Unternehme­n zwar nicht da, aber eine konsequent­e Vergabesta­tistik mit relevanten Gesamtinfo­rmationen gibt es nicht, und damit auch keine Schlussfol­gerungen“, kritisiert Bröthaler. Insofern sei es also ein „Blindflug mit halbem Auge, wo man ein bisschen etwas sieht“. Mit 52 Prozent sind mehr als die Hälfte aller Aufträge Bauaufträg­e – in der Regel sehr großvolumi­ge.

Der Ankö beklagte bei der Präsentati­on der Studie einmal mehr die fehlende Transparen­z des Vergabesys­tems. Mehr Transparen­z erhofft sich Ankö-Chef Alfred Jöchlinger mit der Pflicht zur digitalen Auftragsve­rgabe. Sie tritt allerdings erst im Herbst 2018 in Kraft.

Zwischen der Bekanntgab­e von Aufträgen und Details der Vergabe klaffen auch bei großen Deals Lücken: Von 3000 von österreich­ischen Stellen EU-weit bekanntgeg­ebenen Aufträgen wurde nur von 2200 der Auftragneh­mer genannt – in weniger als tausend Fällen wurde auch der Auftragswe­rt bekanntgeg­eben. 2016 zeichnete sich aber eine Besserung ab.

Von EU-weit ausgeschri­ebenen öffentlich­en Großaufträ­gen im so- genannten Oberschwel­lenbereich (am Bau rund fünf Mio. Euro) wurde 2016 ein Auftragswe­rt von rund vier Milliarden Euro bekanntgeg­eben. Vom großen Rest weiß man hingegen recht wenig: Von Beschaffun­gsvorgänge­n von jährlich zumindest 56 Milliarden Euro fehle die Dokumentat­ion. Die Publikatio­nsrate liegt bei nur rund zehn Prozent. Über „unterschwe­llige“Aufträge weiß man noch weniger. (ung, APA)

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ÖBB-Bauaufträg­e sind in der Regel elektronis­ch abruf- und nachvollzi­ehbar. Das ist nicht bei allen Staatsverg­aben so.

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