Als der Geschmackssinn laufen lernte: Anne Speier
Wien – Auf massigen Dinosaurierbeinen sitzt einzig eine dünne, sich durch die Luft schlängelnde Zunge: Nicht Kopf-, aber Zungenfüßer könnte man sie nennen, die hybriden „Wesen“, die die Bildhauerin Anne Speier (geb. 1977 in Frankfurt) schafft. Sie strecken Betrachtern ihre Zunge entgegen oder lecken die Wände des Ausstellungsraums ab.
Speier, die an der Universität für angewandte Kunst Wien und an der Frankfurter Städelschule studierte, verbindet Skulptur und Malerei, schlägt aber auch auf ironisch-kritische Art Brücken zwischen Vergangenheit und Gegenwart. So verweist der untere Teil ihrer Fabelwesen zurück in die (Kunst-)Geschichte, etwa zu Hieronymus Bosch, während die wendige Zunge für den sich rasch wandelnden Zeitgeschmack im heutigen Kunstbetrieb stehen mag.
Auf ähnlich kluge und humorvolle Weise thematisiert Speier zudem die „Kunstmarktblase“. Dabei bezieht sie sich auf ein Zitat Oscar Wildes, das sie jüngst auch ihrer Schau in der Galerie Meyer Kainer voranstellte: „I find it harder and harder everyday to live up to my blue china“– von Tag zu Tag finde er es schwieriger, so der Dandy, in seinem Lebenswandel den ästhetischen Idealen gerecht zu werden, die sein chinesisches Porzellan verkörpert.
Diese Widersprüchlichkeit zwischen Anspruch und Wirklichkeit greift Anne Speier nun in ihren Vasenbildern auf – und fügt als Störfaktor einen Orang-Utan ein, der völlig unkontrollierbar in die ebenso schöne wie sichtlich fragile Welt einbricht. (cb)