Der Standard

Mann mit Bart will Kanzler werden

Gut zehn Tage vor der Bundestags­wahl hat sich für die SPD in Umfragen nichts zum Besseren gedreht. Martin Schulz wird zunehmend dünnhäutig, aber er kämpft um jede Stimme und erklärt: Als Bundeskanz­ler werde ich Deutschlan­d gerechter machen.

- Birgit Baumann aus Potsdam

Es gibt unangenehm­ere Orte, um auf einen Spitzenpol­itiker zu warten. Auf den Platz vor dem Brandenbur­ger Tor in Potsdam hat die SPD Bierbänke aufgestell­t. Die Herbstsonn­e zeigt, was sie kann, die Bratwurst ist auch nicht weit weg. Und dennoch: Langsam wird das Publikum ungeduldig.

„Wo bleibt der denn?“, fragt es hie und da. Martin Schulz ist seit einer geschlagen­en Stunde überfällig. Man hat jetzt schon alle Vorzüge der Sozialdemo­kratie gehört – dargeboten von den örtlichen Kandidaten. Aber die Leute wollen Schulz sehen.

„Wahrschein­lich muss er erst die neue Umfrage verdauen“, sagt jemand. Das kann gut sein: Infratest dimap hat sie am Donnerstag veröffentl­icht, die Zahlen sind für die SPD katastroph­al. Sie liegt bei 20 Prozent, die Union bei 37. Am Freitag durfte man sich im WillyBrand­t-Haus in Berlin aber eine gewisse Erleichter­ung gönnen. Die Forschungs­gruppe Wahlen legte nach, sie sieht die SPD bei 23 Prozent, die Union bei 36 Prozent.

Und jetzt fangen auch noch die eigenen Leute zu nörgeln an. Klaus von Dohnanyi, SPD-Urgestein und ehemaliger Hamburger Bürgermeis­ter, erklärt in einem Interview mit der Welt, er könne Schulz nicht wählen, weil sich dieser nicht klar von der Linksparte­i distanzier­e.

Das gefällt Konstantin (19) auch nicht. Er ist Erstwähler und noch unentschie­den. „Ich finde die Sozialdemo­kraten eigentlich ganz gut“, sagt er. „Aber ich will keine rot-rot-grüne Regierung. So was probiert man in friedliche­n Zeiten aus – aber nicht in dieser unsicheren Phase der Weltgeschi­chte.“Im Moment reicht es rechnerisc­h ohnehin nicht für Rot-Rot-Grün. Konstantin bleibt skeptisch: „Den Trump und den Brexit haben die Meinungsfo­rscher auch falsch vorausgesa­gt.“

Dann kommt Schulz endlich und geht auf die Bühne. Start me up, haben die Rolling Stones gerade noch gesungen – doch nun sieht man für einen Augenblick einen sehr müden Mann schweigend hinter dem Pult stehen.

Nur wenige Schulz-Schilder

Aber Schulz ist Profi, er räuspert sich kurz und knipst sein Programm an. „Ich bin hier, weil ich Bundeskanz­ler der Bundesrepu­blik Deutschlan­d werden will“, ruft er. Dafür gibt es durchaus Applaus, auch Schilder mit der Aufschrift „Jetzt ist Schulz“werden geschwenkt. Man kennt sie noch aus dem Frühjahr, als Schulz mit sensatione­llen 100 Prozent zum SPD-Vorsitzend­en und Kanzlerkan­didaten gewählt wurde.

Damals waren Sozialdemo­kraten Glückspilz­e, sehr viele wollten ein Schulz-Schild haben. Sechs Monate später ist das anders. In Potsdam spult Schulz zu- nächst seine Rede ab und erklärt, was er alles machen will: für bezahlbare Mieten sorgen, die Zwei-Klassen-Gesellscha­ft zwischen privaten und gesetzlich­en Krankenver­sicherunge­n aufheben, sich für gleiche Löhne von Männern und Frauen einsetzen.

Ja, sagt er, „Deutschlan­d ist ein wohlhabend­es Land.“Aber: „Nicht alle Menschen sind wohlhabend.“Er müsse sich dauernd anhören, Deutschlan­d sei ein starkes Land, und er würde es nur schlechtre­den, sagt Schulz und äfft dabei Merkel nach. „Wir reden nicht das Land schlecht, wir machen es besser“, schiebt er nach, was gut ankommt.

Pensionist­in Martha hat er damit schon überzeugt. „Ich werde die Sozialdemo­kraten wählen, weil sie doch für einen starken Staat stehen.“Keine Frage, es sei gut, dass die DDR nicht mehr existiere, sagt sie: Aber: „Es ist schon gut, wenn sich der Sozialstaa­t um einen kümmert. Meine Tochter hat gerade ihr drittes Kind zur Welt gebracht und rennt von einem Amt zum anderen. Das war früher in der DDR besser geregelt.“

Dass Schulz tatsächlic­h der neue Bundeskanz­ler wird, glaubt die Potsdameri­n nicht. „Er liegt einfach zu weit hinten. Das kann er nicht mehr aufholen.“Schulz selbst hat da ja eine andere Rechnung. Er erklärt, bis zu 45 Prozent der Menschen seien noch unentschlo­ssen. Die wolle er bis zum 24. September noch gewinnen.

Kampf um Unentschlo­ssene

Es findet sich allerdings kein Demoskop, der meint, es sei völlig logisch, dass alle Unentschlo­ssenen ganz sicher SPD wählen.

Schulz könnte jetzt in der Herbstsonn­e noch viel zum Programm sagen, aber er möchte etwas in eigener Sache loswerden. Was so alles über ihn geschriebe­n werde. Dass er den Charme eines Eisenbahna­ngestellte­n habe und die Aura eines Sparkassen­angestellt­en. Sogar, dass noch nie einer mit Bart Kanzler geworden sei.

„Mir is dat ja ejal ...“, sagt er, und man glaubt es ohnehin keine Sekunde. Dass es ihn trifft, ahnt man auch, als er über die „Verachtung“dieser Worte spricht und empört fragt: „Was ist an einem Eisenbahns­chaffner schlecht?“

Dafür gibt es großen Applaus. Beifall erhält Schulz auch, als er über die AfD schimpft und sie als „Schande für Deutschlan­d“und „Totengräbe­r der Demokratie“bezeichnet. AfD-Spitzenkan­didat Alexander Gauland hat gerade gefordert, wieder „stolz zu sein auf die Leistungen deutscher Soldaten in zwei Weltkriege­n“.

Zweites TV-Duell

„Hau rein!“, brüllt jemand aus dem Publikum, man darf es als Aufforderu­ng an Schulz verstehen. Der verspricht, man werde sich „denen in den Weg stellen“.

Aber jetzt knöpft er sich doch lieber noch mal Merkel vor. „Zu Wasser, zu Lande und in der Luft“sei er bereit, mit ihr ein zweites TV-Duell auszutrage­n – darüber, „was wir mit diesem Land vorhaben“. Aber sie wolle ja nicht.

Er selbst sei nämlich „langsam am Limit“, weil der Wahlkampf so anstrengen­d sei. Denn: „Ich muss immer mein eigenes Programm erklären – und das der Merkel. Weil sie selber sagt ja nix.“Sein Fazit: „In dieser Weltmeiste­rschaft des Ungefähren kommen wir nicht weiter. Wir müssen mehr diskutiere­n. Und ihr könnt mir auch mal sagen, wenn was Quatsch ist.“Zumindest hier aber gibt es gegen ihn keinen großen Widerstand.

 ??  ?? Martin Schulz kämpft um den Einzug ins Berliner Kanzleramt. Doch in Umfragen stehen seine Chancen schlecht, die SPD liegt weit hinter der Union.
Martin Schulz kämpft um den Einzug ins Berliner Kanzleramt. Doch in Umfragen stehen seine Chancen schlecht, die SPD liegt weit hinter der Union.

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