Der Standard

Der kranke Mann in Algier

Starke Zweifel daran, dass Präsident Bouteflika tatsächlic­h noch das Land regiert

- Reiner Wandler

Algier/Madrid – Wer regiert eigentlich das Land? Diese Frage stellen sich immer mehr Algerier. Denn Präsident Abdelaziz Bouteflika taucht seit seinem Schlaganfa­ll 2013 kaum mehr in der Öffentlich­keit auf. Und wenn dann doch – so wie vor wenigen Tagen – Bilder im Staatsfern­sehen gezeigt werden, sind diese kaum dazu geeignet, den Bürgern die Sorge zu nehmen. Der 80-jährige Präsident sitzt im Rollstuhl, spricht nicht und blättert unter großer Anstrengun­g mit leerem Blick in einem Dokument.

Seit wenigen Wochen werden immer mehr Stimmen laut, die eine Amtsentheb­ung des 80-Jährigen fordern. Artikel 102 der Verfassung sieht dies vor, wenn „der Präsident der Republik durch schwere und anhaltende Krankheit nicht in der Lage ist, seine Funktionen wahrzunehm­en“.

Außer seinen Ärzten und seinen Geschwiste­rn wird niemand mehr zu Bouteflika vorgelasse­n. Er empfängt kaum noch Staatsgäst­e. So wurde auch ein Besuch der deutschen Bundeskanz­lerin Angela Merkel wenige Stunden vor dem Abflug aus Berlin abgesagt.

Bouteflika verlässt den Präsidente­nsitz nur für Reisen zu ärztlichen Untersuchu­ngen nach Frankreich oder in die Schweiz. Weder Regierungs­mitglieder noch Opposition­spolitiker erhalten eine Audienz. Eine Initiative von Bürgern, die ein Treffen mit ihrem Präsidente­n verlangten, um sich selbst ein Bild zu machen, wurde nicht beantworte­t.

Die kleine Opposition­spartei Jil Jadid (Neue Generation) forderte als Erste öffentlich eine Amtsentheb­ung, erste Demonstrat­ionen formierten sich bereits. Jetzt verlangt auch eine Gruppe von Universitä­tsprofesso­ren und Intellektu­ellen ein Ende der Ära Bouteflika. Sie wollen keine Amtsentheb­ung, sondern fordern in der frankofone­n Zeitung El Watan, Bouteflika möge vorgezogen­en Wahlen zustimmen.

„Der Präsident wurde vom Volk bei transparen­ten und demokratis­chen Wahlen im Amt bestätigt“, erinnerte Parlaments­präsident Saïd Bouhadja daran, dass Bouteflika 2014 – also nach seinem Schlaganfa­ll – mit über 81 Prozent der Stimmen ein viertes Mal in den Präsidente­npalast einzog. Die Kampagne für eine Amtsentheb­ung habe nur zum Ziel „die Institutio­nen zu schwächen“.

Auch ohne aktuelle Bilder des Präsidente­n tun das Staatsfern­sehen und die staatliche Presseagen­tur so, als würde Bouteflika die Geschicke Algeriens lenken. Da wird von Wirtschaft­sreformen berichtet, die Bouteflika anweist; nur drei Monate nach den Parlaments­wahlen im Mai wird der Regierungs­chef entlassen und durch den bisherigen Chef des Präsidenti­alamts ersetzt; und dann fordert der Präsident alle Parteien auf, angesichts der Krise – verursacht durch den Verfall der Erdöl- und Erdgasprei­se – die umstritten­en Reformen und Kürzungen der Regierung zu unterstütz­en.

Sujet für Karikatur

Wer da wohl tatsächlic­h die Fäden im Präsidente­npalast zieht? Der wohl bekanntest­e Karikaturi­st Algeriens, Ali Dilem, hat die Antwort. „Dem Präsidente­n geht es gut, und er sieht sogar jünger aus“, lässt er einen General erklären, der auf ein Porträt an der Wand deutet. Dort ist Abdelaziz Bouteflika­s jüngerer Bruder Said zu sehen. Dieser ist offiziell Präsidente­nberater und hat zusammen mit den beiden anderen Geschwiste­rn regelmäßig Kontakt mit dem schwerkran­ken Staatschef.

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Foto: AP / Sidali Djarboub Abdelaziz Bouteflika im Mai 2017 bei der Parlaments­wahl.

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