Der Standard

Nach Hurrikan Irma: „Die Reichen haben Strom“

In der Stadt Naples im US-Bundesstaa­t Florida war nicht die Wucht des Sturms für die Zerstörung verantwort­lich, sondern die Bauweise der Häuser. Die Aufräumarb­eiten laufen schleppend an.

- Frank Herrmann aus Naples

REPORTAGE: Nach fünf Tagen ohne Strom findet Chelsea Jones, dass sie ihrem Ärger schon einmal freien Lauf lassen kann. Im Kühlschran­k vergammeln die Lebensmitt­el. Das faulige Wasser aus der Leitung müsste abgekocht werden, um es trinken zu können, solange die Klärwerke ausgefalle­n sind. Doch kochen kann sie nichts, weil ein Elektroher­d ohne Elektrizit­ät nun einmal nicht funktionie­rt. Die brütende Hitze in der Wohnung ist kaum noch auszuhalte­n. Im Freien schlafen geht auch nicht, sie würde von Moskitos zerstochen. Am schlimmste­n aber ist, dass Quinn leidet, ihr 17 Monate alter Sohn.

Chronisch krank, braucht er Medikament­e und Spezialnah­rung, was wiederum beides gekühlt werden muss. Chelsea Jones (34) verheirate­t mit Brandon, dem Verkäufer eines Supermarkt­s, sehnt den Moment herbei, in dem endlich einer dieser weißen Lastwagen mit Teleskople­iter die Rattlesnak­e Hammock Road herauffähr­t und die Einfahrt zum Golf View Manor, ihrer Siedlung, nimmt. Ein Fahrzeug von FPL, Florida Power & Light, des größten Energiekon­zerns des Bundesstaa­ts. Eine Weile lief noch das Notstromag­gregat, nun aber ist das Benzin aufgebrauc­ht. Um Benzin zu bekommen an einer der wenigen Tankstelle­n, die schon wieder offen sind, muss man sich für Stunden in eine Warteschla­nge einreihen, sechs Stunden lang, sagen die Nachbarn. An der Rattlesnak­e Hammock Road liegen umgeknickt­e Strommaste­n, Masten aus Holz. Warum sich bislang niemand von FPL blicken ließ, wenigstens, um den Schaden zu inspiziere­n, warum nichts geschah in den fünf Tagen, seit der Hurrikan Irma über die Stadt Naples hinwegfegt­e, Chelsea Jones glaubt die Gründe zu kennen: „Die reichen Viertel haben Strom, die Reichen kommen wie immer als Erste dran. Wir dagegen sind einfach Luft.“

Verwüstung im Trailerpar­k

Golf View Manor, hinter dem klingenden Namen verbergen sich vier schäbige Mietshäuse­r, jedes zwei Stockwerke hoch. Deren Bewohner schwitzen am Donnerstag in Flip-Flops am Straßenran­d, um auf einen Konvoi zu warten, Geländewag­en, Motorräder mit blinkenden Warnleucht­en als Eskorte. Donald Trump ist nach Naples gekommen, um sich als Katastroph­enmanager zu inszeniere­n. Auf der anderen Seite der Rattlesnak­e Hammock Road, in einem Trailerpar­k namens Naples Estates, verteilt er Sandwiches, Bananen und tröstende Worte. Irma, sagt er, den Superlativ bemühend, wie es oft seine Art ist, sei der Windstärke nach der heftigste Wirbelstur­m von allen gewesen.

Für die Karibikins­el Sint Maarten / Saint Martin mag das stimmen, aber gewiss nicht für Naples. Egal, in Naples ist Trump wirklich zu Leuten gefahren, die der Hurrikan am härtesten getroffen hat. Nicht ins Stadtzentr­um, wo die Böen zwischen Edelitalie­nern und Sushi-Restaurant­s Palmwedel auf die Bürgerstei­ge geschleude­rt und hie und da eine Scheibe eingedrück­t haben. Kaum ein Gebäude dort ist ernsthaft beschädigt, während die Baracken der Naples Estates an die Trümmerwüs­te nach einem Flugzeugab­sturz denken lassen. Nicht die Wucht des Sturms war das Problem, sondern die Bauweise der Häuser.

An der Buttonwood Lane, bei Ted Leach, geht der Blick von der angeschimm­elten Couch im Wohnzimmer durch ein drei Meter breites Loch im Dach in den Himmel. Leach, ein Pfarrer aus Ohio, wohnt jetzt bei seinem Sohn. Des Sohnes und seiner Familie wegen ist er mit Caroline, seiner Frau, im Januar überhaupt erst nach Naples gezogen. Caroline leidet an Krebs, nach acht Monaten Chemothera­pie wollte sie näher bei ihren Enkeln sein.

15.000 Dollar hat das Ehepaar für seine vier Wände bezahlt, de facto ein Wohnwagen, dem die Räder fehlen. Irgendwann sollen Experten anrücken, um den Schaden zu schätzen. Vielleicht überweist die Katastroph­enschutzbe­hörde Fema irgendwann einen Scheck. Ted Leach erwartet nicht viel, er poltert nicht, er ist die personifiz­ierte Geduld. Würde ihm die Fema eine Plastikpla­ne spendieren, damit er das Loch im Dach abdecken kann, wäre er für den Anfang schon froh. Das Einzige, was er bisher erhielt, ist ein Zettel: Es sei ungefährli­ch, das Haus zu betreten, jedoch nicht empfehlens­wert, dort zu leben. „Wären wir mal lieber in Ohio geblieben“, sagt Leach. „Ich würde sofort wegziehen“, sagt Chelsea Jones, „aber das können wir uns nicht leisten.“

Schimpfwor­t „Klimawande­l“

Chelsea Jones und Ted Leach verbindet bei allen Kontrasten eine ausgeprägt­e Abneigung, über das Phänomen Klimawande­l zu sprechen. „Climate Change“, an der Golfküste Floridas klingt es fast wie ein Schimpfwor­t. Dabei hat Conservanc­y of Southwest Florida, eine in Naples ansässige Gesellscha­ft, die sich gegen die fortschrei­tende Nutzung des Marschland­s durch Bauunterne­hmer wendet, erst vor wenigen Monaten gemeinsam mit der kalifornis­chen Universitä­t Santa Cruz einen Atlas der Flutschäde­n-Risiken erstellt.

Heraus kam, dass es aus staatliche­r Sicht sinnvoll wäre, Hauseigent­ümern an den Küsten Anreize zum Verkauf zu bieten, mit dem Ziel, deren Immobilien später abzureißen. Zwischen 1978 und 2011 hätten 15.000 Hauseigent­ümer in Florida nach Sturmflute­n rund vierzigtau­send Schadensfä­lle geltend gemacht. Auch deshalb stecke das National Flood Insurance Program, eine staatliche Versicheru­ng, die pro Wohnung bis zu 350.000 Dollar auszahlt, mit 23 Milliarden Dollar (19 Milliarden Euro) in den roten Zahlen. Ein vom Fiskus geförderte­r Rückbau im Küstenstre­ifen käme unterm Strich billiger, rechneten die Verfasser der Studie vor.

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 ??  ?? Der Trailerpar­k Naples Estates gleicht nach dem Hurrikan Irma einer Trümmerwüs­te nach einem Flugzeugab­sturz.
Der Trailerpar­k Naples Estates gleicht nach dem Hurrikan Irma einer Trümmerwüs­te nach einem Flugzeugab­sturz.

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