Der Standard

GESCHÜTTEL­T, NICHT GERÜHRT

Die Beinahe-nackt-Katze

- Von Julya Rabinowich

Wir haben Zuwachs. Nicht nur an Jahren und Sorgen, sondern auch an Freuden. Uns geht’s jetzt wirklich gut. Familiär betrachtet. Irgendwann ist es nämlich so, dass against all odds einen plötzlich eine Schnauze anlacht und man weiß, man muss handeln. Dann gibt es Familiener­weiterung.

Wir haben jetzt alle zusammen zwei Schwänze. Und einer von uns ist glattrasie­rt. Und kommt kernig aus Tirol. Vom Bauernhof. Der Hund sitzt jetzt ziemlich an- gefressen angeleint und bemaulkorb­t indoor, und die erste gemeinsame Nacht verbrachte ich im Bad auf einer Schaumstof­fmatratze, semischlaf­end. Ziemlich solo, denn das soeben gerettete Katzentier verschmäht­e die warme Retterinne­nbrust und verkroch sich unter dem Waschbecke­nkastl.

Im Zug (fünf Stunden hin, fünf Stunden sofort retour) wurden zwar erste Freundscha­ftsbande geknüpft – nach einer halben Dose Futter und einem beherzten Biss in den Finger.

Danach allerdings trübte sich diese Freundscha­ft gleich wieder etwas ein, als wir direkt vom Zug und gegen spätabends zur Tierärztin fuhren, die gnadenhalb­er wartete – und einen schweren Laus- und Flohbefall im schönen langen Pelz verortete.

Während ich Jacke und Schal sicherheit­shalber auf den Boden warf, wurde der Neuzugang wegen Nissen im Haar rasiert. Das war durchaus glatt und nicht verkehrt, denn während dieses bemerkensw­erten Prozesses stoben die Flöhe und Läuse vom kleinen Körper davon wie im Zeichentri­ckfilm Glitzerste­rnchen von der zaubernden Fee. Katzenkopf und Schweif blieben unveränder­t.

Auf dem Behandlung­stisch saß nun ein ziemlich angefresse­ner Gensplice zwischen Löwe und Eichhörnch­en. Die Frage „Ist das ein Maine Coon?“, die regelmäßig über die Zugfahrt verteilt aufgekomme­n war, würde ich nun nicht mehr so schnell zu hören bekommen. Gar kein Problem. Wir sind viel exklusiver. Eine Tiroler Beinahe-nackt-Katze hat schließlic­h nicht jeder.

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