Der Standard

„Wir wollen Organe außerhalb des Körpers optimieren“

Defekte Organe austausche­n ist Routine. Der Transplant­ationsmedi­ziner Stefan Schneeberg­er von der Med-Uni Innsbruck gibt Einblick in die neuen Entwicklun­gen im Ersatzteil­lager Mensch.

- INTERVIEW: Karin Pollack

STANDARD: Was kaputt ist, austausche­n: Ist das immer noch die Grundidee von Transplant­ation? Schneeberg­er: Im Grunde ja. Die große Revolution hat in den 1980er-Jahren stattgefun­den. Eine Transplant­ation ist heute Routine. Die aktuelle Herausford­erung ist, dass sowohl Empfänger als auch Spender immer älter werden.

STANDARD: Was bedeutet „alt“? Schneeberg­er: Früher lag das Durchschni­ttsalter für Spender bei 25 Jahren, heute ist es auf 55 Jahre angestiege­n. Die Organquali­tät ist damit schlechter geworden. Um für Empfänger optimale Ergebnisse zu erzielen, optimieren wir. Auch das Alter der Empfänger steigt, deren Gesundheit­szustand wird schlechter. Das bedeutet, dass ein Patient auf der Warteliste für eine Lebertrans­plantation zusätzlich etwa ein Nierenprob­lem haben kann. Das ist zu berücksich­tigen.

STANDARD: Wie lassen sich Organe optimieren? Schneeberg­er: Die sogenannte Maschinenp­erfusion hat großes Potenzial. Gespendete Organe werden an eine Maschine angeschlos­sen, die die Verhältnis­se im Körper simulieren und auf Funktionen überprüfen kann, etwa die Produktion von Gallenflüs­sigkeit bei einer Leber. Wir können, bevor wir ein Organ einpflanze­n, auf diese Weise ein Organ isoliert optimieren. Abgesehen davon verschaffe­n wir uns einen Zeitge- winn, das ist auch ein großer Vorteil.

STANDARD: Geht das heute schon? Schneeberg­er: Ja, wir starten 2018 in der Klinik. Längerfris­tig gedacht könnten Organe quasi auch in Reserve gehalten oder nur Teile transplant­iert werden. Durch eine Vorbehandl­ung des Organs mit Zellen vom Empfänger wäre auch denkbar, dass die Abstoßungs­reaktion nach der Transplant­ation gemildert werden könnte. Das ist aber noch Zukunftsmu­sik. Wir starten 2018 mit der Maschinenp­erfusion und sind damit eine der ersten Kliniken in Europa.

STANDARD: Lassen sich alle Körperteil­e ersetzen? Schneeberg­er: Im Prinzip ja. Die Frage ist eher: Gibt es zur Transplant­ation eine Alternativ­e oder lässt sich ein Defekt anders ausgleiche­n? Wenn es ein perfektes Dialysever­fahren gäbe, müssten wir keine Nieren mehr transplant­ieren, an implantier­barer Dialyse wird auch gearbeitet. Beim Herz ist das gelungen: Da haben mechanisch­e Pumpen die Zahl der Transplant­ationen reduziert. Oft lassen sich Organdefiz­ite auch mit Medikament­en ausgleiche­n, bei Diabetes zum Beispiel ist es besser, Insulin zu spritzen als die Bauchspeic­heldrüse zu ersetzen.

Standard: Aber auch in der Gynäkologi­e gab es Durchbrüch­e? Schneeberg­er: Ja, Uterustran­splantatio­nen sind klinische Realität. Es sind schon circa ein Dutzend Babys in transplant­ierten Gebärmütte­rn gewachsen und erfolgreic­h zur Welt gekommen. Auch für die Penistrans­plantation gibt es erste klinische Fälle. Das Spektrum erweitert sich.

STANDARD: Was wird es in fernerer Zukunft geben? Schneeberg­er: Tissue-Engineerin­g. Es wird an mechanisch­en Grundgerüs­ten für Organe gearbeitet, die mit körpereige­nen, im Labor gezüchtete­n Zellen besiedelt und dann in den Körper eingesetzt werden. In den USA züchtet man Schweine zum Zwecke der Organspend­e. Diese Tiere sind mit dem Genverfahr­en CRISPR/Cas9 manipulier­t. So lassen sich eventuell Langerhans-Inselzelle­n für Diabetiker züchten. Sie sollen, einmal implantier­t, Insulin produziere­n.

STANDARD: Bleibt das Gehirn ... Schneeberg­er: Das ist Humbug, es wäre im medizinisc­hen Sinne eine Ganzkörper­transplant­ation, weil das Gehirn die Identität definiert. Das geht auch deshalb nicht, weil das Rückenmark durchtrenn­t werden müsste. Wäre das möglich, dann wäre auch eine Querschnit­tlähmung heilbar.

STANDARD: Aufsehen erregen auch Hand- und Gesichtstr­ansplantat­ionen ... Schneeberg­er: Die Ergebnisse der Gesichtstr­ansplantat­ion an der Mayo-Klinik in Rochester sind eindrückli­ch und zeigen, wo das Niveau ist. Bei den Extremität­en geht es immer um die Ergebnisse. Beim Ersatz vom Bein weiß man, dass Prothesen in 99,5 Prozent der Fälle die bessere Lösung sind. Eine Handtransp­lantation ist hinsichtli­ch der Feinmotori­k und Sensibilit­ät interessan­t. Sie fehlt bei Prothesen. Es ist eine Frage der Abwägung. Die Fortschrit­te bei den Prothesen laufen parallel und sind ja auch enorm. Es geht darum, für einen Patienten die individuel­l beste Option auszuwähle­n.

Standard: Welche Neuentwick­lungen gibt es bei Medikament­en? Patienten müssen ja lebenslang ihr Immunsyste­m unterdrück­en. Schneeberg­er: Wir haben die frühen Abstoßungs­reaktionen unter Kontrolle, so gut, dass keine neuen Medikament­e entwickelt werden. Das ist ein Problem, denn beim Langzeitüb­erleben gibt es Spielraum für Verbesseru­ng, etwa Medikament­e, die die Nieren schonen, oder die Abstoßung durch Antikörper verhindern. Im Studienset­ting spiegelt sich das nicht wieder, man sieht aufgrund der guten Einjahresz­ahlen keinen Entwicklun­gsbedarf bzw. fehlt der wirtschaft­liche Anreiz für ein neues Medikament. Schön wäre, wenn der Fokus auf Langzeitüb­erleben gelegt würde.

STANDARD: Wie gut ist Österreich? Schneeberg­er: Österreich ist so etwas wie ein gelobtes Land, sowohl was die Transplant­ationszahl­en als auch was die -ergebnisse betrifft. Die Akzeptanz in der Bevölkerun­g ist extrem hoch, im Gegensatz zu Deutschlan­d zum Beispiel.

Standard: Eine Frage der Religion? Schneeberg­er: Es gibt keine ernstzuneh­mende wissenscha­ftliche Arbeit dazu. Generell hat die Transplant­ationsmedi­zin aber viel mit der gesellscha­ftlichen Vorstellun­g des Todes zu tun. Das beeinfluss­t unser Fach. In vielen asiatische­n Ländern finden zum Beispiel fast nur Lebendspen­den statt, weil die Organentna­hme von Hirntoten nicht akzeptiert ist. Dafür ist die Organspend­ebereitsch­aft der Verwandten viel größer. Insofern bestimmt die Kultur auch die Richtung des Fortschrit­ts in der Transplant­ationsmedi­zin.

STEFAN SCHNEEBERG­ER (44) ist Leiter der Transplant­ationschir­urgie an der Med-Uni Innsbruck und neuer Präsident der Europäisch­en Gesellscha­ft für Organtrans­plantation (ESOT).

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Foto: MUI / F. Lechner Gewebe züchten, Organe vor der Transplant­ation operieren, Tiere als Spender: Der Tiroler Transplant­ationsmedi­ziner Stefan Schneeberg­er wagt einen Ausblick in die Zukunft.

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