Der Standard

Alles Politische ist privat

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Kann es Schöneres geben, als sich an einem trüben Sonntagmor­gen den Boulevard aus den ausgehängt­en Taschen zu fischen, um endlich zu erfahren, dass Politiker auch nur Menschen sind? Zuletzt konnte man sich diesem Vergnügen gleich doppelt hingeben. Im „Kurier“beteuerte Frau Sissi Pröll: „Mein Mann ist jetzt charmanter zu mir“– es wurde aber auch Zeit –, und in der „Krone bunt“war unter dem vielverspr­echenden Titel Ziegen, Katzen, Kanzleramt über Sebastian Kurz zu erfahren: Das Landleben hat ihn genauso geprägt wie der Alltag im Gemeindeba­u im sozialisti­sch geführten Arbeiterbe­zirk Meidling in Wien, in dem er heute noch wohnt.

Eine Gemeindewo­hnung gibt niemand gern auf, wenn man sich nichts Größeres leisten kann, aber zum Glück hat er ja noch ein zweites Standbein in Zogelsdorf. Die „Krone“zeigt erstmals den Bauernhof seiner Oma, auf dem er aufgewachs­en ist, und erzählt, wie ihn diese Herkunft geprägt hat. Doppelt geprägt von Zogelsdorf und von Meidling kann an der Berufung zu Höherem kein Zweifel, und vor allem kein Selbstzwei­fel, bestehen. Ja, die Oma! „Das ist die Generation, die unser Land nach dem Krieg mit viel Fleiß und Liebe aufgebaut hat; der wir unseren Wohlstand verdanken“, schwadroni­ert der dankbare Enkel und lässt dabei geflissent­lich unter den Tisch fallen, dass diese Generation unser Land zuerst ruiniert hat, um es wieder aufbauen zu können. Aber für solche Phrasen kann die Generation Oma sicher nichts.

Trotzdem, belehrt der Meidlinger die „Krone“, müssen wir die Pensionen sichern und die Menschen vor Altersarmu­t schützen, wofür die ÖVP berühmt ist, aber bitte gezielt: Es muss einen Unterschie­d machen, ob man ein Leben lang etwas für das Land geleistet oder noch nie ins System eingezahlt hat. Unser Sozialsyst­em muss vor zu viel Zuwanderun­g geschützt werden, was in Zogelsdorf ja kein größeres Problem sein sollte.

Und man kann es gar nicht oft genug wiederhole­n: Er lebt, wie eingangs bereits erwähnt, ganz unprätenti­ös im SPÖ-geführten Arbeiterbe­zirk Meidling gemeinsam mit seiner gleichaltr­igen Partnerin und vielen anderen auch ganz unprätenti­ös lebenden Meidlinger­n. Gemeinsame Auftritte sind rar. Als das beiläufige Kuss-Foto vom Neugründun­gs-Parteitag Anfang Juli plötzlich sämtliche Titelblätt­er zierte, soll sie nicht gerade begeistert gewesen sein. Verständli­ch, die Parteitags­küsserei sollte ja auch völlig unbemerkt bleiben. Auch ihm merkt man die Überwindun­g an, sich auf private Fotos und Fragen einzulasse­n. Privates versucht er zu schützen – so gut es eben geht. Warum sonst sollte man die „Kronen Zeitung“nach Zogelsdorf einladen, aber nicht in die un- prätentiös­e Gemeindewo­hnung! Und warum wird das beiläufige Kuss-Foto in der „Krone“schon wieder abgedruckt?

Unprätenti­ös, wie er ist, braucht er kein Auto. „Ich kann aber auf einen Dienstwage­n zurückgrei­fen, und privat sind wir mit dem Auto meiner Freundin unterwegs. Da sitze dann aber schon ich am Steuer (lacht).“Frauen am Steuer – das wäre doch gelacht! Auf sie kann er beim Hemdenbüge­ln zurückgrei­fen. „Ich gebe zu, meine Freundin leistet zuhause den größeren Beitrag.“(Lacht nicht.) Einer muss ja die Mittelmeer­route sperren.

Ganz anders bei den Prölls. Da kann der „Kurier“berichten, wie aus dem Macho ein Frauenvers­teher wurde. Es ist nie zu spät, und was soll man machen, wenn sich die Perspektiv­e verändert? Mein Blick hat sich erweitert. Vor allem in Hinblick darauf, was eine Frau im Haushalt zu leisten hat – und in einem politische­n Haushalt ganz besonders. Von selber hätte sich der Blick nie erweitert, aber jetzt: Ich bin zu der Conclusio gekommen, dass nach 40 Jahren, wo du eigentlich unter dem Diktat des Terminkale­nders lebst, die Sehnsucht nach einem normalen Leben groß ist.

Aber, Conclusio hin oder her, ganz untätig bin ich nicht. Er wurde vor wenigen Tagen Honorarkon­sul von Slowenien. Und erst vor wenigen Tagen habe ich vom bulgarisch­en Ministerpr­äsidenten Bojko Borissow einen Brief erhalten, in dem er mich gebeten hat, Mitglied in seinem sechsköpfi­gen Weisenrat zu werden. Wenn er nur nicht rückfällig wird, wo er im Haushalt schon so viel gelernt hat. Kochen kann ich noch nicht, aber Grillen. Das ist eine neue Leidenscha­ft von mir. Meine Spezialitä­t ist Lachs. Ich würde das Gericht sogar „Lachs à la Pröll“nennen. Falsche Bescheiden­heit war seine Stärke nie.

Vierzig Jahre in der Politik, der Umweg zum Frauenvers­teher ist lang. Das sollte Kurz bedenken.

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