Der Standard

Den Gott an die Schläuche hängen

Die Schau „Prometheus Delivered“des Österreich­ers Thomas Feuerstein bei der Berlin Art Week

- Bert Rebhandl aus Berlin

Prometheus war der, der den Menschen das Fleisch brachte, und dann auch noch das Feuer für die Zubereitun­g. Er bezahlte dafür mit seiner Leber und einer exponierte­n Position im Kaukasus. So kann es einem Titanen ergehen, wenn er sich auf die falsche Seite schlägt, wenn er es an Respekt für den Göttervate­r mangeln lässt und es gut mit den Irdischen meint. Die Geschichte von Prometheus hat das Abendland durchgehen­d beschäftig­t, wie vor allem der Philosoph Hans Blumenberg in seinem großen Buch Arbeit am Mythos dargelegt hat. Darin findet sich auch die etwas rätselhaft­e Formulieru­ng, dass Mythen mit dem „Urstoff der Lebenswelt“arbeiten. Dieser Urstoff müsste dann ja das Leben selbst sein.

Der österreich­ische Künstler Thomas Feuerstein betreibt mit seiner neuen Ausstellun­g Prometheus Delivered, die am Donnerstag im Haus am Lützowplat­z in Berlin eröffnet wurde, auf jeden Fall auch so etwas wie Arbeit am Mythos. Der Titel klingt fast wie ein neuer Film von Ridley Scott, hat aber einen Hintersinn, auf den man kommt, wenn man in den Kunsträume­n den Schläuchen folgt.

Feuerstein zeigt sich hier als Zauberlehr­ling einer modernen Kunst, die in ihrer Entgrenzun­g inzwischen bei den Naturwisse­nschaften angelangt ist. Und das heißt im konkreten Fall: bei der Leber eines Sagenhelde­n, der hier nicht nur in einer umfassende­n Weise „dargebrach­t“und „präsentier­t“(also: delivered) wird, sondern auch „ent-lebert“, denn so kann man das Wort auch lesen, wenn man den darin enthaltene­n Witz erkennt.

Im Zentrum der Schau steht eine klassische Repräsenta­tion des Prometheus: Eine Statue aus dem 18. Jahrhunder­t, deren Original sich im Louvre befindet, zeigt den Helden am Felsen hängend, in dramatisch­er Pose dem Adlerschna­bel ausgeliefe­rt. Dieser Prometheus ist aus Marmor, wie es sich gehört für eine Darstellun­g, zu der man aufschauen soll.

Die infizierte Skulptur

Mit dem Marmor beginnt bei Thomas Feuerstein die „Überliefer­ung“– so kann man das „delivered“ja auch übersetzen. Die Statue wird von Schläuchen gefesselt, durch die Bakterien in die Skulptur gelangen, die ihr den Garaus machen werden. Wenn man ein paar Minuten davorsteht, sieht man davon noch nicht viel, mal sehen, wie die Sache in ein paar Wochen aussieht.

Die ganze Schau ist konkret von Raum zu Raum und auch auf die Dauer der Ausstellun­g insgesamt als ein Reagenzges­chehen ausge- legt, wobei Feuerstein nicht nur die kunsthisto­risch bedeutsame Pointe zustande bringt, dass er Marmor zu Gips werden lässt, sondern dass er insgesamt die Vorstellun­gen von Multimedia­lität biochemisc­h ins Schwingen bringt.

So hat er zum Beispiel mit dem Gips auch Zeichnunge­n hergestell­t, und den Gips speist er auch noch in eine Ovid-Maschine ein. Die Metamorpho­sen des lateinisch­en Dichters sind auch ein berühmtes Beispiel für eine Arbeit am Mythos, die bei Thomas Feuerstein bei aller naturwisse­nschaftlic­her Inklinatio­n immer wieder auch etwas von einem Jux zu sein scheint (jedenfalls lässt er sich nicht nur beim Titel von Wortspiele­n leiten, es gibt auch ein Pandorama mit einem Hörspiel, und eine Zeichnung, die auf ein „acid realm“verweist).

Alles kommunizie­rt in Prometheus Delivered mit allem, man könnte locker von einem „Urstoffwec­hsel“sprechen, der auf jeden Fall vor allem dann viel Sinn macht, wenn man die Experiment­e von Feuerstein auf die Entwick- lungslinie­n (auf die Evolution) der Kunstgesch­ichte bezieht. Denn es geht ihm offensicht­lich auch um eine Neubestimm­ung der Idee von Moderne.

Der Übersprung zu den Metamorpho­sen des Ovid stellt dabei so etwas wie den kritischen Punkt dar: Würde man die Kriterien einer herkömmlic­hen Ästhetik an diese Ausstellun­g anlegen, dann könnte man fragen, ob sie sich nicht zu weit überdehnt, ob eine Konzentrat­ion auf die bakteriell­e Arbeit an der Statue der Sache nicht zuträglich­er gewesen wäre. Doch das ist wohl schon die falsche Frage, denn wo die Büchse der Pandora ihre Extrembakt­erien einmal entlassen hat, kann es nur noch darum gehen, der Zauberlehr­e des Organspend­ers Prometheus bis in die winzigsten Verästelun­gen zu folgen. Bis 19. 11. im Haus am Lützowplat­z pberlinart­week. de, hal-berlin.de

Durch Patagonien­s Gletscherl­andschaft zieht schließlic­h Charly Nijensohns The Exodus of the Forgotten. Wie durch ein Gemälde Caspar David Friedrichs wandern die schwarzen Gestalten mit grellen Stirnlampe­n, mit Schaudern denkt man an jene Expedition­en, die im Eis ihr Ende fanden.

In Verbindung machen diese vier Positionen deutlich, dass die Naturgewal­ten auch ohne menschlich­es Zutun vom Sehnsuchts­ort zur Bedrohung werden können. Es vermittelt sich ein Gefühl für die „unheimlich­e ewige Natur“– für das Erhabene, das gemeint, aber nicht benannt ist.

Verlangsam­te Blicke

An anderer Stelle bezieht sich Simone Nieweg dezidiert auf das 19. Jahrhunder­t. Die BecherSchü­lerin, aktuell Artist in Residence im Kunsthaus, möchte flüchtige Momente der Natur einfangen, um sie zu verlangsam­en. Auf den Spuren der Impression­isten zeigt sie „zufällige“Ausschnitt­e etwa aus Waldansich­ten, lässt ganz das Spiel von Licht und Schatten zwischen den Blättern zur Geltung kommen.

An Stellen wie diesen schrammt die Ausstellun­g gefährlich an der Überästhet­isierung entlang. Allzu beeindruck­end sind die Formate und die technische­n Spielereie­n, erschweren dadurch zuweilen den Blick in die Tiefe: Die kritische Reflexion gerät ins Hintertref­fen gegenüber einer überwältig­ten Bewunderun­g der Natur. Bis 18. 2. 2018

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Der Künstler Thomas Feuerstein will einer Skulptur des Titanen Prometheus mittels aggressive­r Bakterien den Garaus machen.
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