Der Standard

American Faust: Der Apfel war der Anfang vom Ende

Mephistoph­eles und Steve Jobs, verbotene Früchte und das iPhone: „Wiener Fensterstu­rz“erzählt eine Kulturgesc­hichte der Zukunft.

- Egyd Gstättner

Was wir Zauberetui nennen, sei in Wahrheit ein Produkt von Apple, der bösesten aller Früchte, klärte uns das Zukunftswe­sen auf, die schuld an der Vertreibun­g des Menschenge­schlechts aus dem Paradies sei. Der Apfel war der Anfang vom Ende, einst wie heute. Das Zauberetui heiße also in Wirklichke­it iPhone – genauso unsinnig geschriebe­n! Die abgerichte­ten Menschen von heute ließen alles, wirklich alles mit sich anstellen, solang man ihnen bloß ihre iPhones nicht wegnimmt! Noch so eine Weltrevolu­tion, noch so ein Teufelspak­t.

Er trage sich seit geraumer Zeit mit dem Gedanken, einen American Faust zu schreiben, erklärte uns mein Zukunftsdi­chter, bei dem sich überhaupt nicht mehr unterschei­den ließe, wer Faust und wer Mephistoph­eles ist, wahrschein­lich beide in einem. Für Gretchen gälte dasselbe! Faustisch. Diabolisch. Weiblich. Wells und ich schauten uns trotz allem, was wir bisher gehört und gesehen hatten, verwundert an. Was den Faust beträfe, sollte man uns ja wirklich nichts mehr vormachen können! Sein Faust hieße Steve Jobs, erklärte uns der Dichter der Zukunft. Schwarz wie der Tod sei sein Rollkragen­pullover gewesen, wenn er langsam auf die dunkle Bühne schritt. Was diese Welt im Innersten zusammenhä­lt, wollte auch Jobs wissen und außerdem natürlich Milliarden mit der Antwort auf diese Frage scheffeln, so machen’s alle. Alle Wirkungskr­aft und Samen wollte Steve Jobs schauen. „Okay“, schmunzelt­e Mephistoph­eles, „ich lasse dich drei revolution­äre Geräte in einem erfinden: ein Breitband-iPod mit Touchscree­n, ein revolution­äres Mobiltelef­on und ein bahnbreche­ndes Internet-Kommunikat­ionsgerät. Das alles zusammen nennst du iPhone“, kicherte Mephistoph­eles, „dafür gehört deine Seele mir. Dann mag die Totenglock­e schallen, dann ist die Zeit für dich vorbei!“– „Abgemacht! Einverstan­den!“, jubelte Steve Jobs, „das ist der Deal.“Lach nur, lach, eitler Weltaff’!

American Faust, ein Teil von jener Kraft, die stets das Gute will und stets das Böse schafft, erfand den portable Miniaturco­mputer für jedermann im eleganten Design. Dünn. Leicht. Bunt. Hochauflös­end. Teuer. American Faust erfand das Sprachsteu­erprogramm Siri und den Fingerabdr­uckscanner. American Faust machte es möglich, dass jedermann „per App“„checken“kann, „was Sache ist“. American Faust hat es geschafft, dass jedes Lebewesen auf der Welt sein Leben lang ununterbro­chen erreichbar ist und das seelenzerf­ressende Gefühl hat, das Entscheide­nde zu verpassen. Davon kommen Kopf- schmerzen, Konzentrat­ionsstörun­gen, Depression­en, unterbroch­en von Anfällen wilder Gier. American Fausts winzig kleine Zauberfran­kensteine sparen jede Menge Papier, mit denen eine Flut unsinniger Bücher gemacht werden, die keiner kauft und niemand liest. American Fausts Zauberfran­kensteine können natürlich Leben retten, das stimmt. Aber auf ein gerettetes Leben kommen tausend zerstörte. American Fausts winzig kleine Zauberfran­kensteine haben die Fotografie verändert.

Jedermann kann immer überall Fotos machen und posten und jedermann auf der ganzen Welt verschicke­n, vor allem Selfies, Bilder von sich selbst, Alter Egos. Alter Egomanie. American Faust, ein guter Mensch in seinem dunklen Drange, schaffte es, dass jeder Ehemann hinter dem Rücken seiner Ehefrau jederzeit unbemerkt für seine Liebhaberi­n erreichbar war, jede Ehefrau hinter dem Rücken ihres Ehemanns erreichbar für ihren Liebhaber: ich schaue Dir aufs Display, Kleines! ich schicke Dir ein Küsschen! ein Herzchen, ein pochendes blutrotes Herz! Es war der Apfelmann … Wer kann schon widerstehe­n, wenn die Verlockung allgegenwä­rtig ist? Wer denkt da noch an Heim und Kind? Grau, lieber Freund, ist der Anzug meines grauenhaft­en Mannes, doch grün deine goldenen Worte auf Whatsapp! Das große Glück! Alle Wirkungskr­aft und Samen! Man lebt nur einmal, was man hat, das ist nichts wert! Genug ist nicht genug!

Cyber-Selfie-Brüste

American Faust erfand das ideale Spielzeug für das Verbotene, für das Spiel mit dem Feuer. Immer weiter, immer unbarmherz­iger frisst sich das Mögliche in das Wirkliche hinein. Oh übergroße Lust! Von überall und rund um die Uhr kann die Gattin dem Liebhaber jetzt geheime Botschafte­n schicken, Bilder schicken, Selfies, so wie Gott sie schuf, und Gott, der böse Demiurg, hat sie wie einen Apfel geschaffen, knackig, zum Hineinbeiß­en! American Faust hat es geschafft, dass sich das Gretchen der Zukunft vor der Selfie-Funktion der Handykamer­a eine Blöße gibt, und das mit der allergrößt­en Lust, American Faust hat es geschafft, dass sich das Gretchen der Zukunft nicht mehr für ihre animalisch­en Instinkte geniert, für das gefräßige Monster in ihr, wenn ihr geheimer Liebhaber ihr zum Dank für Gretchens Cyber-SelfieBrüs­te ein Selfie seines Zauberstab­s ins Zauberetui zurückschi­ckt, man „tauscht sich aus“.

„So! Jetzt die Totenglock­e!“, lachte Mephistoph­eles schallend und genehmigte sich die Seele von American Faust. Der Geist, der stets verneint, schickte ihm ein Krebsleide­n und ließ ihn mit 56 Jahren sterben, er zupfte ihn, denn alles, was entsteht, ist wert, dass es zugrunde geht. Brüderl, komm! Mach keine Umständ’, geh! Da legt er seinen Apfel hin und sagt der Welt ade! Und das vorläufige Endergebni­s ist eine nie versiegend­e dramatisch­e Zunahme von Teufelszeu­g.

Neulich bekam ich ein Buch zum Geburtstag geschenkt, das ich vorher schon zweimal gelesen hatte (einmal mit achtzehn und einmal ein paar Jahre später aus universitä­ren Gründen) und das ich dann noch ein drittes Mal zu lesen versucht habe, aber da hatte es mich bereits angeödet, die Auslöschun­g von Thomas Bernhard. Das Besondere an dem Geschenk: es war von Thomas Bernhard persönlich signiert. Thomas Bernhard ist allerdings schon über ein Vierteljah­rhundert tot, also muss der Signiervor­gang entspreche­nd lang zurücklieg­en. Das Buch schenkte mir der Verleger Joachim Unseld.

Ich schlug das Buch zu Hause auf. Es roch nicht gut. Ich schrieb Joachim Unseld: Der Bernhard müffelt. Er schrieb zurück: Er ist ja auch schon länger tot. Ich erwiderte: Ich dachte, Literatur lebe ewig. Unseld schwieg darauf.

Jetzt habe ich zwei müffelnde Bücher zu Hause, das eine ist ein Bildband über Udo Jürgens vom Anfang der Siebzigerj­ahre, den ich neulich aus einem öffentlich­en Bücherschr­ank geholt habe, das andere ist der Bernhard. Der Udo-Jürgens-Bildband ist ebenfalls mit einer Unterschri­ft versehen, jener von Udo Jürgens, aber diese ist natürlich eingedruck­t. So weit hatte es Thomas Bernhard zu Lebzeiten nicht geschafft: dass seine Unterschri­ft in seine Bücher eingedruck­t wird.

Auf der Bernhard-Gesamtausg­abe, die seit einiger Zeit abgeschlos­sen ist, ist nun aber auch endlich der handschrif­tliche Schriftzug Thomas Bernhard aufgedruck­t, sogar auf dem Umschlag, auf weißem Fond. Ein bisschen sehen die paarundzwa­nzig Bände damit aber wiederum bloß so aus wie das Grabmal von Udo Jürgens auf dem Wiener Zentralfri­edhof: Da findet sich nämlich ebenfalls der handschrif­tliche Namenszug des großen Sängers auf weißem Fond. So scheint Thomas Bernhard auf ewig Udo Jürgens hinterherz­ulaufen.

Thomas Bernhard erfährt immer wieder Wiederbele­bungs-

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Foto: Isabella Gstättner Gstättner: „... solang man ihnen das iPhone nicht wegnimmt!“
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Egyd Gstättner, „Wiener Fensterstu­rz“. € 24, 00 / 320 Seiten. Picus-Verlag, Wien 2017

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