Der Standard

Halbmond und Doppeladle­r

Nach 100 Jahren entdeckt: Mosche Ya’akov Ben-Gavriêls autobiogra­fischer Roman und Kriegstage­buch „Jerusalem wird verkauft“von 1917.

- Oliver vom Hove

meist bei Ausländern. Ich will die beiden Autoren nicht vergleiche­n. Ich will Bernhard auch nicht mit Mozart vergleiche­n (natürlich auch nicht mit Udo Jürgens). Ich rede hier nur von der deutschen Bernhard-Perspektiv­e und der österreich­ischen. Bei den einen ein kleiner Mozart, bei den anderen ein ganzer Hesse.

Andreas Maier, geb. 1967 in Bad Nauheim, ist ein deutscher Schriftste­ller. Er schrieb seine Dissertati­on über Thomas Bernhard. Seine autobiogra­fische Romanserie „Ortsumgehu­ng“erscheint seit 2010 bei Suhrkamp. Zuletzt erschien „Der Kreis“(2016). Maier lebt in Hamburg.

Im Jahr 1967, also vor 50 Jahren, erschien der Roman „Verstörung­en“von Thomas Bernhard, namensgebe­nd für das Literaturf­est im Seehof in Goldegg, das heuer vom 21. bis zum 24. September stattfinde­t und sich mit der Dreiecksbe­ziehung zwischen Thomas Bernhard, Peter Handke und Siegfried Unseld beschäftig­t. Mit dabei u. a.: Peter Lohmeyer, Jens Harzer, Bibiana Beglau, Albert Ostermaier, Friedrich Ani, Raimund Fehlinger und Andreas Maier. www.verstörung­en.at www.derseehof.at

Vor hundert Jahren stand die k. u. k. Armee im Nahen Osten Seite an Seite mit dem Osmanische­n Reich und kämpfte auf palästinen­sischem Boden gegen die britische Armee. Mit dabei als österreich­ischer Soldat war der 1891 geborene Wiener Jude Eugen Höflich, der – nach Einsätzen an der Ostfront und einer schweren Verwundung – von Jänner bis Oktober 1917 in Jerusalem stationier­t war.

In der von Hunger und Seuchen heimgesuch­ten Stadt hatte er das Kommando über das im Kloster Ratisbonne eingericht­ete Lazarett für die Gaza-Front übernommen. Der Einsatz einer Sanitätsko­mpanie war neben einer Gebirgshau­bitzendivi­sion der wesentlich­e Beitrag Österreich-Ungarns zur Verstärkun­g der türkischen Besetzung Palästinas, die ob ihrer Willkür und Grausamkei­t von der Bevölkerun­g als unerträgli­ch quälerisch empfunden wurde.

Es war die Widersinni­gkeit, als europäisch­er Verbündete­r an dieser maßlosen Unterdrück­ung einer „türkischen Kolonie“teilzuhabe­n, die Höflich dazu veranlasst­e, ein Tagebuch zu führen, aus dem später der Tatsachenr­oman Jerusalem wird verkauft entstanden ist. Darin erlebt ein k. u. k. Offiziersa­spirant namens Dan die Schäbigkei­t eines Krieges, der an dieser Peripherie nur noch aus Korruption, Goldund Geldschieb­ereien, aus Hehlerei und erpresseri­scher Selbstbere­icherung bestand.

Schon auf der Bahnfahrt von Konstantin­opel (das hier Cospoli heißt) nach Jerusalem nimmt der österreich­ische Leutnant den Goldschmug­gel türkischer Offiziere wahr, vor allem aber die unverkennb­aren Zeichen vom Massenmord der Türken an den Armeniern. „Armenier sind hier vogelfreie Volksverrä­ter“, bemerkt er entsetzt: „Viele Tausende liegen erschlagen oder verhungert entlang der großen Landstraße.“In Aleppo empören ihn „Tausende von armenische­n Waisen, deren Väter und Mütter man mit deutscher Erlaubnis an den Straßen Anatoliens erschlug“. Dan fährt durch das syrische Kampfgebie­t und trifft überall auf Erschöpfun­g und Zerstörung.

Durch syrisches Kampfgebie­t

Aber auch die Bilder vom Kriegseins­atz des Feindes begleiten den Reisenden: „In einem Dorf zwölf Tote in Reih und Glied neben dem Gleis der Eisenbahn. Eine Braut im Hochzeitss­chmuck, ein Bräutigam und zehn andere Bauern. Vier davon sind Kinder: Ein englischer Flieger hat die Freudenfeu­er eines hochzeitfe­iernden Dorfes missversta­nden und Bomben abgeworfen.“

In Jerusalem ist Dan sogleich mit den Animosität­en zwischen den verbündete­n Türken, Deutschen und Österreich­ern konfrontie­rt. Der Autor stellt seinem Protagonis­ten einen jüdischen Offizier namens Walter Zinner zur Seite, und gemeinsam erleben die Österreich­er angewidert die Übergriffe des türkischen Militärs auf die palästinen­sische Bevölkerun­g. Längst sehnen die Einheimisc­hen den Sieg der Engländer unter General Allenby herbei.

Umso grausamer wütet das Schreckens­regiment von Djemal Pascha, dem Schlächter von Syrien: „Die Bestie ist losgelasse­n. Wer nicht Türkisch spricht, ist politisch verdächtig. Araber werden gehängt, und nun kommt die Reihe auch an die Juden. Die Zionisten fallen nun der blinden Rache des Kamelpasch­as zum Opfer. Die Stricke, an denen sie hangen, verkauft man als Mittel gegen den Bösen Blick und gegen Augenkrank­heiten.“

Das Städtchen Tel Aviv, das fast nur von Juden bewohnt war, hat Djemal Pascha eines Nachts räumen und mutwillig zerstören lassen. „Tel Aviv ist tot“, stellen die beiden k. u. k. Beobachter entsetzt fest. „Wie Augen von Toten die Fenster. Eine ermordete Stadt. Die weißen Mauern des Gymnasiums stehen wie Knochen eines riesigen Skeletts in die brennende Sonne. Kein Mensch, nirgends ein Mensch.“Zinners Wut wird unter diesen Eindrücken grenzenlos. „Das ist kein Krieg, das ist Menschensc­hlächterei, das ist die Wiedergebu­rt des teuflische­n Mittelalte­rs!“, klagt er – es ist die Anklage des Autors.

Vorgänger Ephraim Kishons

Eugen Höflich kehrte Ende 1917 nach Wien zurück, aber zehn Jahre später wanderte er nach Palästina aus und nannte sich fortan Mosche Ya’akov Ben-Gavriêl. Seinen Tatsachenr­oman schrieb er auf Deutsch, doch das Buch konnte erst 1946 in hebräische­r Übersetzun­g erscheinen. Damals begann gerade Ben-Gavriêls Nachkriegs­karriere als auf Deutsch schreibend­er Satiriker, gleichsam als Vorgänger Ephraim Kishons, und da passte dem Autor sein Kriegsroma­n nicht ins Konzept.

So ruhte das Original von Jerusalem wird verkauft in den Archiven der israelisch­en Nationalbi­bliothek und erreicht erst jetzt, ein halbes Jahrhunder­t nach dem Tod des Autors (1965), den deutschspr­achigen Leser. Es ist ein Fundstück zur rechten Zeit: Lässt man sich heute auf Ben-Gavriêls zuweilen mit schwarzem Humor imprägnier­te Schilderun­gen einer apokalypti­schen Kriegsszen­erie im Nahen Osten samt einem martialisc­hen türkischen Nationalis­mus ein, fallen einem die Parallelen zu den gegenwärti­gen Gräuelbild­ern aus der Region ebenso drastisch ins Auge wie die notorische Leugnung des Armenier-Genozids durch den türkischen Staat.

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Während Thomas Bernhard hoffentlic­h in Frieden ruht, zieht der deutsche Schriftste­ller Andreas Maier (wie Bernhard ebenfalls bei Suhrkamp) Vergleiche zwischen ihm und anderen Großen der Kulturgesc­hichte: etwa Wolfgang Amadeus Mozart, Hermann Hesse oder...
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Foto: privat Eugen Höflich kehrte 1917 nach Wien zurück, zehn Jahre später wandert er nach Palästina aus.
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