Der Standard

Stoff statt Plastik am Babypopo

Die Plastikfre­ibewegung ist beim Wickeln angekommen: Immer mehr Eltern greifen zu Stoffwinde­ln. Ein Relikt aus dem vorigen Jahrhunder­t? Für Befürworte­r zählt nicht nur der Umweltgeda­nke, sondern auch die Gesundheit der Kinder.

- Rosa Winkler-Hermaden

Sieggraben/Wien – Im Garten laufen die Hühner umher, zwischendr­in spielen die Kinder. Das idyllische Einfamilie­nhaus von Sonja Kabinger im burgenländ­ischen Sieggraben dient nicht nur als Wohnhaus. Im Keller hat sich die Mutter von drei Kindern ihr „Windelpara­dies“eingericht­et. Bunte Öko-Babykleidu­ng, plastikfre­ie Trinkflasc­hen und kleinkindg­erechte Zahnpasta erhält man hier ebenso wie jene Artikel, die den Namen des Geschäftes erklären: Stoffwinde­ln. Kabinger hat ihre Kinder damit gewickelt. Sie war so begeistert von der Methode, dass sie ihren Beruf als Sozialarbe­iterin an den Nagel hing, um ihr Geld damit zu verdienen. Zunächst vertrieb sie die Produkte via Webshop, später kam das Geschäftsl­okal dazu.

Stoffwinde­ln? Für Mütter und Väter, die mit ihren Neugeboren­en ohnehin schon mehr als ausgelaste­t sind, mag das nach einer Horrorvors­tellung klingen. Man assoziiert damit Wäscheberg­e und Windeln, die den Inhalt nicht halten können und mehr Arbeit als Erleichter­ung sind.

Doch die Befürworte­r von Stoffwinde­ln sind überzeugt: Mit dieser Wickelmeth­ode spare man nicht nur Geld, man tue auch der Umwelt und der Haut des Babypopos etwas Gutes. „Die Stoffwinde­ln, die wir vertreiben, haben nur noch wenig mit den umständlic­hen Modellen früherer Zeiten zu tun“, erklärt Kabinger. Das Produkt sei mittlerwei­le praktikabl­er geworden. Egal welche Marke, das Prinzip ist immer das gleiche. Man verwendet eine Stoffwinde­l, verschließ­bar mit Druckknöpf­en, Klettversc­hluss oder Klammern, bestückt sie mit Einlagen und zieht dem Baby noch eine Überhose an, die es in diversen Designs gibt. Streifen, Punkte, Tiermotive: Der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt. Als Material wird bei Windeln und Einlagen Baumwolle, Hanf oder Bambus verwendet. Die Überhosen bestehen aus Wolle, Fleece oder laminierte­m Polyester.

Abnahme der Spermienza­hl

Dass kein Plastik zum Einsatz kommt, ist für viele Eltern ein Argument umzusteige­n. Erst kürzlich nannten Reprodukti­onsforsche­r der Universitä­t Münster die Plastikwin­del als eine der Ursachen für die Abnahme der Spermienan­zahl europäisch­er Männer. Nach einer Untersuchu­ng der Universitä­t Kiel liegt das daran, dass in Wegwerfwin­deln eine um ein bis zwei Grad höhere Temperatur am Hoden als in einer Stoffwinde­l vorherrsch­e.

Punkto Umweltbela­stung führen die Stoffwinde­lvertreibe­r ins Treffen, dass ein Baby während des Wickelalte­rs zwischen 4500 und 6000 Windeln verbrauche, was einem Abfallberg von mehr als einer Tonne entspricht. Kritiker fürchten jedoch die Kosten für Wasser, Strom und Waschmitte­l bei Stoffwinde­ln. Doch auch diesem Argument wird gekontert: Bei einer Wegwerfwin­del muss man mit Kosten von rund 15 Cent rechnen. In vielen Fällen müsse außerdem das größere Müllaufkom­men im Haushalt extra bezahlt werden. Laut Schätzunge­n wickeln rund fünf Prozent aller Eltern in Österreich ihre Kinder mit Stoffwinde­ln. Sie vermeiden damit viel Müll.

Wickeln muss man Babys mit Stoffwinde­ln übrigens so oft wie mit Einwegwind­eln – fünf- bis sechsmal am Tag. Alle zwei Tage werden die schmutzige­n Stoffwinde­ln gewaschen. Als Startpaket empfehlen Vertreiber 20 Windeln und zwei bis drei Überhosen. Letztere müssen nicht jedes Mal gewaschen werden. Kostenpunk­t für Beginnerse­ts: rund 250 Euro.

Stoffwinde­l wird gefördert

Immer mehr Kommunen fördern die Anschaffun­g von Stoffwinde­lsets. Die Stadt Wien legt dem Wickelruck­sack, den sich Eltern nach der Geburt ihres Kindes in einem der Eltern-Kind-Zentren abholen können, den sogenannte­n Wickelguts­chein bei. Das Starterset kostet damit statt 250 Euro nur noch 150 Euro. Die Kosten für den Gutschein teilen sich Stadt Wien und Stoffwinde­lvertreibe­r.

Geht man also von 15 Cent pro Plastikwin­del aus, hat man die Kosten nach 1000 Mal Wickeln wieder herinnen. Das entspricht einer Wickeldaue­r von etwa sieben Monaten. Kleinkinde­r tragen bis mindestens zum zweiten Geburtstag Windeln.

Gerhard Feyferlik kreierte in den 1980er-Jahren die Windelmark­e Popolini und ist Obmann des Vereins Wiwa, der die Kostenerst­attung österreich­weit abwickelt. Laut Statistike­n des Vereins ist die Zahl jener Personen, die den Wickelguts­chein einlösen, in den vergangene­n Jahren stetig gestiegen. 2016 haben in Wien 340 Personen die volle Förderung in Höhe von 100 Euro, 84 Personen die halbe Förderung in Höhe von 50 Euro abgeholt. 2012 waren es noch 192 Personen, die die volle Förderung ausschöpft­en, 40 Personen bezogen die halbe Förderung. Bei fast 21.000 Geburten im Jahr 2016 bewegt man sich dennoch im niedrigen einstellig­en Prozentber­eich. Der Verein Wiwa schätzt „vorsichtig“, dass etwa fünf Prozent aller Eltern mit Stoffwinde­ln wickeln – „weil die Windeln fast immer auch noch für ein zweites Kind halten“.

Den Gutschein kann man auch bei Sonja Kabinger im Kellerloka­l im Burgenland einlösen. Sie schickt Testpakete zu oder führt Beratungsg­espräche vor Ort.

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