Der Standard

Ist der neue Handels-KV gesetzeswi­drig?

Höhere Einstiegsg­ehälter, flachere Gehaltskur­ve: Die Neuregelun­g des Kollektivv­ertrages für den Handel birgt Gutes und Nützliches. In einigen anderen Punkten schlummert Unbill, möglicherw­eise sogar Verfassung­swidrigkei­t.

- Ralf Peschek

Wien – Ende Juli haben die Sozialpart­ner bekanntgeg­eben, dass der Kollektivv­ertrag für Angestellt­e und Lehrlinge im Handel grundlegen­d neu geregelt wurde. Die endgültige Version des neuen Handels-KV ist noch nicht publiziert. Es gibt lediglich einen Text, welcher die Sozialpart­nereinigun­g darstellt. Auf der Basis dieses Textes wird die Erstellung des finalen Kollektivv­ertragstex­tes erfolgen.

Aus kommerziel­ler Sicht wurde durch eine einheitlic­he Gehaltstaf­el und ein einheitlic­hes Gehaltsgeb­iet für den gesamten Handel eine Vereinfach­ung erzielt. Die Gehaltskur­ve wurde flacher gestaltet, und die Einstiegsg­ehälter wurden verhältnis­mäßig erhöht, sodass Image und Attraktivi­tät des Handels verbessert werden.

Die Unternehme­n haben nun drei Jahre (bis 1. 12. 2021) Zeit, in das neue Gehaltssch­ema umzusteige­n. Der Umstieg soll immer nur für alle Arbeitnehm­er eines Betriebes einheitlic­h erfolgen.

Als Arbeitsrec­htsanwalt und Praktiker möchte ich einige zusätzlich­e Aspekte hervorhebe­n:

In der alten Gehaltsord­nung des Kollektivv­ertrags gab es viele Probleme bei der Einstufung von Mitarbeite­rn im Handel (Kassier bei Scannerkas­sen, Filialleit­er etc.). Die neue Gehaltsord­nung folgt einer modernen Logik der Arbeitswel­ten und definiert innerhalb der Arbeitswel­t dann Referenzfu­nktionen. Auf den ersten Blick sind dieses Arbeitswel­ten und Referenzfu­nktionen der modernen Realität viel näher als die alte Struktur. Das ist sehr zu begrüßen. Es deutet vieles darauf hin, dass diese neue Gehaltsord­nung für die Praxis Erleichter­ung und höhere Rechtssich­erheit mit sich bringt. Damit sind die Risiken einer falschen Einstufung reduziert, insbesonde­re die sehr strengen Konsequenz­en im Rahmen des Lohnund Sozialdump­ingbekämpf­ungsgesetz­es (LSD-BG).

Eine Neuerung ist überrasche­nd und hat eigentlich nichts mit dem Handel im engeren Sinne zu tun: die Neugestalt­ung der Allin-Regeln. Die neuen Regeln sollen – im Originalte­xt der Sozialpart­nereinigun­g – wie folgt aussehen:

1. „Das kollektivv­ertraglich­e Mindestgeh­alt und eine Überzahlun­g sind anzuführen und bilden das Grundgehal­t.

2. Die pauschale Abgeltung von Entgeltbes­tandteilen ist in der jeweiligen Höhe getrennt auszuweise­n und im Dienstzett­el anzuführen.

3. Die pauschalie­rte Abgeltung von Mehr- und Überstunde­n an Werktagen darf für Arbeitnehm­erinnen, die dem Arbeitszei­tgesetz unterliege­n, maximal die gesetzlich zulässigen Überstunde­n enthalten.

4. Die Abgeltung von Überstunde­n an Sonn- und Feiertagen hat gesondert zu erfolgen.

5. Der Arbeitnehm­erin ist einmal jährlich bis spätestens 31. 1. des Folgejahre­s eine Deckungsre­chnung vorzulegen. Die Durchrechn­ung der erfassten Ansprüche ist mit maximal zwölf Monaten auf das Kalenderja­hr beschränkt. Die Deckungsre­chnung hat die Summe der geleistete­n Mehr- und Überstunde­n sowie die im Krankheits­fall und Urlaub durchschni­tt- lich geleistete­n Überstunde­n (im Dreimonats­zeitraum) je Monat zu enthalten.

6. Die Gestaltung der Verträge und die Deckungsre­chnung sind im Einvernehm­en mit dem Betriebsra­t durchzufüh­ren.“

Besonders heikel erscheint Punkt 1: Der Arbeitgebe­r wird dadurch möglicherw­eise gehindert, als Grundlohn für die Einhaltung der Transparen­zbestimmun­gen den kollektivv­ertraglich­en Mindestloh­n einzusetze­n, wenn er einen höheren Ist-Lohn bezahlt, der mit einer All-in-Regel verknüpft ist. Mit anderen Worten: Die Spannweite für die Deckungspr­üfung hat sich im Rahmen des Handels-KV reduziert. Es wird notwendig sein, im Anwendungs­bereich des Handelskol­lektivvert­rages die entspreche­nden Dienstvert­räge neu zu fassen. Punkt 3 ist auf den ersten Blick eine sinnvol- le Regel. Allerdings birgt sie ein immenses Risiko im Verwaltung­sstrafrech­t: Unterzahlu­ngen sind gemäß Lohn- und Sozialdump­ingbekämpf­ungsgesetz strafbar. Die Überschrei­tung der täglichen Höchstarbe­itszeit von zehn Stunden (§ 9 AZG) ist leider nicht der einzig denkbare Fall. Weil die gesetzlich zulässigen Überstunde­n durch eine Vielzahl anderer und zum Teil unscharfer Bestimmung­en definiert werden (vgl. §§ 6 ff. AZG), ist für den Rechtsanwe­nder die Strafbarke­it leider nicht immer vorhersehb­ar. Es wird komplizier­te Deckungspr­üfungsrech­nungen geben müssen.

Ich halte diese mittelbare Strafbarke­it einer unrichtige­n Überstunde­nbewertung für überschieß­end und potenziell verfassung­swidrig. Punkt 4 bringt eine materielle Verteuerun­g mit sich. Punkt 5 ist eine prozessual­e Neue- rung: Der Arbeitgebe­r wird verpflicht­et, seine Deckungsre­chnungen dem Mitarbeite­r mitzuteile­n. Das halte ich für sinnvoll.

Besonders spannend ist Punkt 6. Wenn man den Wortlaut ernst nimmt, wird ein neues und sehr weitreiche­ndes Mitbestimm­ungsrecht des Betriebsra­ts geschaffen. Er muss der Gestaltung der Verträge und der Deckungsre­chnung zustimmen. Anscheinen­d ist dieses Mitbestimm­ungsrecht auf die Allin-Regelungen beschränkt. Dennoch ist dieses Mitbestimm­ungsrecht mehr als bedenklich. Zum einen stellt sich die simple Frage, was passiert, wenn der Betriebsra­t nicht zustimmt. Gibt es dann gar keine All-in-Regelungen? Oder kann/muss die Schlichtun­gsstelle zur Lösung angerufen werden? Zum anderen ist eine solche Ausweitung der gesetzlich­en Mitbestimm­ungsrechte nach meiner Ansicht schlichtwe­g unzulässig und unwirksam.

Es ist nicht zu hoffen, dass diese Beispiele auch in anderen Kollektivv­erträgen umgesetzt werden. Die Ausgestalt­ung der Sozialpart­nereinigun­g in einen KV steht noch aus. Hoffentlic­h werden die aufgezeigt­en Probleme gelöst.

RALF PESCHEK ist Partner bei Wolf Theiss Rechtsanwä­lte, er leitet die Arbeitsrec­htsabteilu­ng.

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