Der Standard

Gewerbebau­gruppen aus der Nische heraushole­n

Immer mehr Menschen wollen mitgestalt­en – nicht nur wenn es um ihren Wohnraum geht, sondern auch in ihrem Umfeld, ihrem Job. Und auch bei der Planung der Immobilie, in der sie zukünftig arbeiten sollen.

- Bernadette Redl

Wien/Berlin – Die Biografien der Menschen verändern sich zusehends. Sie werden zu sogenannte­n Multigrafi­en, die aus mehreren Aufbruchs- und Veränderun­gsphasen bestehen. Auch im Alter orientiere­n sich viele Menschen heutzutage noch einmal um, sie wollen arbeiten, statt in Pension gehen.

„Dieser und weitere gesellscha­ftliche Trends, etwa Individual­isierung und Sehnsucht nach Community und Partizipat­ion, wirken sich darauf aus, wie Wohn- und Arbeitsbed­ürfnisse sich verändern“, erklärte Raimund Gutmann vom Beratungsu­nternehmen wohnbund:consult kürzlich bei einem Podiumsges­präch von MAK Future Lab und Wien Holding.

Inhalt der Diskussion war eine Entwicklun­g, die auf diese neuen gesellscha­ftlichen Verhältnis­se reagiert: Das gemeinscha­ftliche Bauen – nicht nur von Wohnraum, sondern auch von Gewerbeflä­chen. Konkreter Anlass: Auch im Viertel Neu Marx, dem ehemaligen Schlachtho­fareal im 3. Bezirk, gebe es ein „Spannungsf­eld zwischen Arbeiten und Wohnen“, hieß es im Zuge des Gesprächs von der Wiener Standorten­twicklung. Dort soll künftig Arbeitsrau­m von Baugruppen geschaffen werden.

Jeder darf mitreden

Wie das funktionie­ren kann, weiß die Architekti­n Britta Jürgens, die mit einer Gewerbebau­gruppe in Berlin das Projekt „frizz23“geplant hat. Unternehme­r aus den Bereichen Kunst, Kreativwir­tschaft und Bildung teilen sich den Gebäudekom­plex, der in einem halben Jahr fertiggest­ellt wird. Vor sieben Jahren hat die Planung für den Standort begonnen, das Konzept wurde in öffentlich­en Kreativwor­kshops entwickelt. Auch bei der Vergabe und der Architektu­r des Gebäudes durfte die Öffentlich­keit in Workshops mitreden.

Für Britta Jürgens ist klar, warum Kleinunter­nehmer sich an solchen Projekten beteiligen, obwohl die lange Vorlaufzei­t für sie oft eine Herausford­erung ist: Was am Ende entsteht, ist eine maßgeschne­iderte und langfristi­ge Standortsi­cherung, zudem entstehen Synergien in der Gemeinscha­ft. Und: Die meisten wollen vor allem mitmachen, weil sie das Experiment unterstütz­en möchten.

Auch in Wien ist der Bedarf da, weiß Robert Temel, selbststän­diger Architektu­r- und Stadtforsc­her. Die Preise für Bürofläche­n sind für KMUs oft nicht leistbar. „Zudem nimmt die Zahl der Startups in Wien laufend zu, sie brauchen entspreche­nde Räume.“

Dennoch gibt es zahlreiche Herausford­erungen, allen voran die Finanzieru­ng. Jürgens: „Wir haben nur eine Bank gefunden, die willig und fähig war.“Hinzu kommen Regulierun­gen, die lange Projektent­wicklungsz­eit – und dass es kaum Entwickler gibt, „die sowohl Wohnen als auch Gewerbe können“, sagt Temel. Vor allem muss man den Prozess aber wollen, so Jürgens, und davon überzeugt sein, dass das Ergebnis besser wird, wenn viele Leute an einem solchen Prozess beteiligt sind.

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