Der Standard

Ist mein Baby im Bauch gesund oder nicht?

Der filmische Essay „Die dritte Option“läuft derzeit in Österreich­s Kinos und beleuchtet die biopolitis­chen Auswirkung­en der Pränataldi­agnostik. Ein Reality-Check mit Expertinne­n aus der Praxis zeigt die Bandbreite des Themas.

- Christine Tragler

Wien – Geplant war alles ganz anders. Eine junge Frau ist im fünften Monat schwanger. Als die Frauenärzt­in fragt, ob sie ein Organscree­ning machen möchte, willigt sie ein. Sie denkt sich: „97 Prozent aller Kinder kommen gesund zur Welt. Warum soll mein Kind eines von den drei Prozent sein?“Doch während der Ultraschal­luntersuch­ung entdeckt die Ärztin zu viel Flüssigkei­t im Gehirn. Die Diagnose: Hydrozepha­lus, ein Wasserkopf. Eine schwerwieg­ende Entscheidu­ng steht an – die Frau beschließt, die Schwangers­chaft mit einer Spätabtrei­bung durch Fetozid zu beenden.

Das Szenario stammt aus dem Dokumentar­film Die dritte Option, der derzeit in Österreich­s Kinos läuft. Darin lenkt Regisseur Thomas Fürhapter den Blick auf die biopolitis­chen Implikatio­nen der Pränataldi­agnostik (PND) und zeichnet das beunruhige­nde Bild einer Gesellscha­ft, die sich der Normierung und Selbstopti­mierung verschrieb­en hat. Behinderun­g hat da wenig Platz. Ein filmischer Essay, der in nüchternen Bildern und lakonische­n OffKomment­aren die Komplexitä­t des Themas vor Augen führt und zur Diskussion anregt. Expertinne­n aus dem Bereich sprechen mit dem STANDARD über ihre Filmeindrü­cke und berichten aus der medizinisc­hen Praxis.

„Uns Pränataldi­agnostiker­n wird vieles vorgeworfe­n, etwa dass wir Rasterfahn­dung nach Trisomie 21 machen würden“, sagt Katharina Schuchter. Sie ist Fachärztin für Gynäkologi­e, Geburtshil­fe sowie Humangenet­ik und seit 27 Jahren in der Pränatalme­dizin tätig. „Es gibt zahlreiche prä- nataldiagn­ostische Angebote, die Frauen während einer Schwangers­chaft helfen – und Leben retten“, sagt sie. Manchmal findet man dadurch heraus, dass man das Kind früher holen muss, um es zu schützen. Oder bei Herzfehlbi­ldungen, hier können Geburt und medizinisc­he Versorgung des Kindes entspreche­nd vorbereite­t werden. Pränataldi­agnostik stellt für Schuchter zweifelsoh­ne eine positive Errungensc­haft der modernen Gynäkologi­e dar.

Selbstbest­immt

„Jede schwangere Frau hat Angst, dass ihr Kind nicht gesund sein könnte. Ich kann 97 Prozent der Frauen beruhigen“, sagt die Gynäkologi­n. Und die restlichen drei Prozent? In den meisten Fällen würden sich die Frauen für einen Abbruch der Schwangers­chaft entscheide­n. „Natürlich ist das eine belastende Situation. Aber für die betroffene­n Frauen ist es wichtig, dass sie die Möglichkei­t haben, sich zu entscheide­n“, so Schuchter.

Manchmal kommen Diagnose und Entscheidu­ng erst zu einem späten Zeitpunkt. Ab der 23. Schwangers­chaftswoch­e erfolgt ein Abbruch nach vorangegan­genem Fetozid. Das bedeutet, dass der Fötus im Mutterleib mittels einer Injektion getötet werden muss, bevor die Geburt eingeleite­t wird. Was Frauen und ihre Partner in dieser Zeit brauchen, ist psychologi­sche Begleitung. Anita Weichberge­r arbeitet als klinische und Gesundheit­spsycholog­in an der Universitä­tsklinik für Frauenheil­kunde am Wiener AKH. Ab der ersten Auffälligk­eit in der Diagnose steht sie dem Paar zur Seite. Ihr Kommentar: „Der Film zeigt, wie sehr man sich mit der Entscheidu­ng alleingela­ssen fühlt.“Die Hauptlast liege auf den Schultern der Frauen. Weichberge­r: „Die Erfahrung zeigt aber, dass Paare zu ihrem Entschluss stehen können, wenn profession­elle Unterstütz­ung in Anspruch genommen wurde.“Nicht alle Diagnoseei­nrichtunge­n verfügen über psychologi­sche Betreuung.

Gerda Kosnar-Dauz steht den Angeboten der Pränataldi­agnostik von Berufs wegen kritisch gegenüber. Sie ist Allgemeinm­edizinerin und begleitet Schwangere im Rahmen der Bindungsan­alyse, einer Methode zur Vertiefung der vorgeburtl­ichen Mutter-Kind-Beziehung. Pränataldi­agnostik wirke sich auf die pränatale MutterKind-Bindung aus: „Alle Kinder müssen eine Qualitätsk­ontrolle durchlaufe­n, bevor man sich entscheide­t, ob man sie haben will oder nicht“, sagt sie. Bei manchen Tests kann es zehn Tage dauern, bis ein Ergebnis vorliegt.

Zu wenige Daten

Kosnar-Dauz: „In dieser Zeit stehen die Kinder zur Dispositio­n. Sie werden gecheckt, ob sie okay sind oder nicht.“Und: Fetozid sei in Österreich ein wenig dokumentie­rter Bereich. Die anbietende­n Stellen entscheide­n, wie sie den Prozess gestalten. Auch gäbe es keine Statistike­n, so Kosnar-Dauz. Was ihr am Film gefallen hat? Die Diskrepanz zwischen Ton- und Bildebene. Dadurch, dass die gesprochen­e Tonspur den Bildern nicht gefügig gemacht werde, bleibe Raum für eigene Gedanken. Ihr Fazit: Früher hätten sich Frauen bewusster entschiede­n, ob und welche Tests sie machen würden. Pränataldi­agnostik werde mittlerwei­le wenig hinterfrag­t.

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Foto: Navigator Film / Thimfilm Filmszene aus „Die dritte Option“. Was denken Eltern, die erfahren, dass ihr Kind mit einer Behinderun­g zur Welt kommen wird?
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