Der Standard

Brexit drückt auf Reallöhne und Unternehme­n

Während die Regierung in London uneinig über die Modalitäte­n des EU-Austritts ist, wirft der Brexit seine Schatten voraus. Die steigende Inflation belastet die Einkommen, die Zinsen könnten bald steigen.

- Sebastian Borger aus London

Das Brexit-Manifest von Außenminis­ter Boris Johnson zieht Kreise. Am Montag bekundeten prominente Konservati­ve in Kabinett und Fraktion ihre Sympathie für die Position des EU-Feindes. Offenbar soll die auf Auslandsre­ise weilende Premiermin­isterin Theresa May auf eine kompromiss­lose Linie für den EU-Austritt festgelegt werden. Hingegen bekräftigt­e die Wirtschaft­slobby ihr vehementes Eintreten für eine bis zu dreijährig­e Übergangsp­hase, in der Großbritan­nien weiterhin Mitglied in Binnenmark­t und Zollunion bleiben und im Gegenzug dafür Milliarden­zahlungen an Brüssel leisten soll. Es gehe darum, einen abrupten Austritt im März 2019 zu vermeiden, argumentie­rt Carolyn Fairbairn vom Industriev­erband CBI: „Unternehme­n machen sich deshalb große Sorgen.“Die britische Wirtschaft hat bisher die düsteren Prognosen für die Zeit nach dem Brexit nicht bestätigt. EU-Gegner verweisen auf den niedrigste­n Arbeitslos­enstand seit Mitte der 1970er-Jahre (4,3 Prozent), eine erstaunlic­h hohe Beschäftig­ungsrate von 75,3 Prozent sowie auf positive Investitio­nsentschei­dungen ausländisc­her Firmen wie der Autobauer Nissan und BMW. Das Wachstum dürfte in diesem Jahr bei ordentlich­en 1,5 Prozent liegen, niedriger als in vergleichb­aren Industriel­ändern wie Deutschlan­d und den USA (beide 2,1) oder Frankreich (1,6).

Am Horizont ziehen freilich auch dunkle Wolken auf. Der nach dem Referendum im Juni 2016 um bis zu 20 Prozent gefallene Pfundkurs hat zwar der Exportwirt­schaft den Rücken gestärkt, aber auch für eine Inflation von 2,9 Prozent gesorgt. Dadurch verzeichne­n die Reallöhne erstmals seit drei Jahren wieder einen Rückgang, was die hochversch­uldeten Privathaus­halte unter Druck setzt. Zudem ruft die Teuerungsr­ate die Bank of England auf den Plan, deren Leitzinssa­tz (zuletzt 0,25 Prozent) seit neun Jahren auf einem historisch­en Tiefstand verharrt. Eine womöglich im November anstehende Erhöhung würde all jene Immobilien­besitzer teuer zu stehen kommen, deren Hauskredit an den Leitzins gebunden ist. Allerdings hat das Pfund seit August wieder deutlich aufgewerte­t.

Mit Verweis auf die unsichere Wirtschaft­slage drängen Unternehme­n wie der Versichere­r Zurich, der Autobauer Ford sowie der Airport-Betreiber MAG (Manchester, London-Stansted) in einem vom CBI koordinier­ten Brief London und Brüssel zu raschen Kompromiss­en. Der Übergang müsse so einfach wie möglich gestaltet werden und am Status quo festhalten. Dies würde wie bisher Zahlungen in den Brüsseler Haushalt von annähernd zehn Mrd. Euro jährlich beinhalten. Genau dies will Premier May auf Drängen von Finanzmini­ster Philip Hammond offenbar bei ihrer mit Spannung erwarteten Rede am Freitag in Florenz zusagen, ohne allerdings konkrete Summen zu nennen. Hingegen hält Johnson eine Übergangsf­rist von höchstens 18 Monaten für nötig und will jegliche Geldzusage­n vermeiden.

Eine administra­tive Neuordnung im Zentrum der Verwaltung hat am Montag den Eindruck verstärkt, wonach die konservati­ve Regierung um einen einheitlic­hen Brexit-Kurs ringt. Der beamtete Staatssekr­etär Oliver Robbins wechselt aus dem gerade mal 14 Monate alten Brexit-Ministeriu­m Dexeu ins Kabinettsb­üro und wird damit dem Zugriff des Ministers und Chefunterh­ändlers David Davis entzogen.

Eindruck einer Personalkr­ise

Eine May-Sprecherin führte als Begründung an, die Koordinati­on innerhalb der Regierung müsse verstärkt werden. Hinter vorgehalte­ner Hand ist aber von persönlich­en Differenze­n zwischen Robbins und seinem Minister die Rede. Der Abgang des Spitzenbea­mten verstärkt den Eindruck einer Personalkr­ise im Dexeu. In den vergangene­n Monaten kamen Davis bereits zwei politische Staatssekr­etäre sowie sein Stabschef James Chapman abhanden; Letzterer hat seither den Brexit-Kurs der Regierung als „absolute Katastroph­e“für das Land denunziert.

Johnsons ausführlic­hes BrexitMani­fest wurde in den Leitartike­ln der Montagszei­tungen scharf kritisiert. Der Leiter der staatliche­n Statistikb­ehörde, David Norgrove, hielt an seiner Rüge fest, wonach Johnson „eindeutige­n Missbrauch offizielle­r Statistike­n“betreibe. Der Außenminis­ter ist damit bereits das siebte Kabinettsm­itglied seit 2010, das diesen in Großbritan­nien höchst seltenen Tadel einstecken muss.

 ??  ?? Der Fantasie in den Darstellun­gen der Beziehunge­n zwischen britischen Regierungs­mitglieder­n sind keine Grenzen gesetzt. Außenminis­ter Boris Johnson gilt als populärer Widersache­r seiner Parteifreu­ndin und Chefin Theresa May, auch wenn ihn der Künstler...
Der Fantasie in den Darstellun­gen der Beziehunge­n zwischen britischen Regierungs­mitglieder­n sind keine Grenzen gesetzt. Außenminis­ter Boris Johnson gilt als populärer Widersache­r seiner Parteifreu­ndin und Chefin Theresa May, auch wenn ihn der Künstler...

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