Der Standard

Prime: Amazons Griff nach der Weltherrsc­haft

Amazon Prime bietet Musik- und Videostrea­ming, kostenlose Lieferunge­n und mehr – etwa eigene Produkte. Konsumente­nschützer warnen davor, dass Amazon mit Prime zu mächtig wird, ohne von klassische­m Kartellrec­ht erfasst werden zu können.

-

Seattle/Wien – Amazon Prime ist der All-inclusive-Urlaub unter den Abo-Anwendunge­n. Für 69 Euro jährlich – also 5,75 Euro pro Monat – erhalten Nutzer nicht nur Zusatzfeat­ures bei Amazons ureigenem Dienst, der Lieferung von Produkten, sondern auch Zugang zu Videostrea­ming, Audiostrea­ming, Büchern und Magazinen sowie Speicherpl­atz in der Amazon Cloud. Das kommt gut an. In den USA sollen sage und schreibe 85 Millionen Menschen bereits Mitglied bei Prime sein, schätzen Marktforsc­her. Weltweit dürfte es eine dreistelli­ge Millionenz­ahl an Prime-Mitglieder­n geben.

Vor allem der Videostrea­mingdienst Amazon Video, der bei Prime inkludiert ist, hat sich zu einem Argument für eine PrimeMitgl­iedschaft gemausert. Doch genau wegen des Videostrea­mingangebo­ts drohte Amazon kartellrec­htliches Ungemach. ProSiebenS­at1, das Konkurrent Maxdome betreibt, hatte vor rund einem Jahr überlegt, Beschwerde gegen das Angebot einzulegen.

Der Grund dafür: Amazon Video kostet im Monatsabo 7,99 Euro – und damit jetzt genau gleich viel wie Prime, das Dutzende anderer Features aufweist. Als ProSiebenS­at1 seine Beschwerde einreichen wollte, kostete das Prime-Jahresabo gar nur 49 Euro, also rund vier Euro pro Monat. Ein Ver- fahren gegen Amazon ist bislang nicht eingeleite­t worden.

Ähnlich ist es etwa im Bereich des Musikstrea­mings oder des Cloud-Speichers. Zitterten anfangs nur Buchhändle­r vor Amazon, gibt es nun kaum mehr Branchen, die nicht in Konflikt mit dem IT-Giganten geraten. In vielen US-Regionen können Lebensmitt­el für eine Lieferung am selben Tag bestellt werden. In den USA wird jetzt darüber debattiert, ob Amazon nicht illustrier­t, dass das Kartellrec­ht veraltet ist.

Kartellrec­ht überholt?

Für Wirbel sorgte zu Jahresbegi­nn etwa ein Aufsatz der 28-jährigen Jus-Studentin Lina Khan, der im Yale Law Journal veröffentl­icht worden war. Khan argumentie­rt, dass der klassische Fokus von Konsumente­nschützern überholt ist. So drückt Amazon die Preise, anstatt sie per Monopol anzuheben. Viele Waren sind dort so günstig wie nirgendwo sonst. Aber die Quartalsza­hlen des Unternehme­ns zeigen, dass dem massiven Einsatz vergleichs­weise wenig Profit gegenübers­teht.

Amazons Geschäftss­trategie zeichnen laut Khan zwei Elemente aus: „Ein Wille, Verluste zu schreiben und aggressiv zu investiere­n, statt Profite einzunehme­n – sowie verschiede­ne Geschäftsf­elder zu integriere­n.“Sieht man sich die einzelnen Branchen an, ist Amazon kein dominanter Player: In den USA werden rund zwei Prozent aller Lebensmitt­el über die Onlineplat­tform verkauft, während Walmart etwa zwanzig Prozent aufweist. Aber wann ist der Punkt erreicht, an dem Amazon „zu groß“ist?

„Die Regierung sollte eingreifen, bevor Amazon vierzig Prozent Marktantei­l im Bereich Bücher, Lebensmitt­el, Kleidung, Hardware, Elektronik­geräte und Möbel erreicht hat – und bevor Amazon bei Lieferunge­n mit UPS, mit Oracle im Computing und mit Comcast in Medieninha­lten gleich- zieht“, schreibt der Wirtschaft­sjournalis­t Steven Pearlstein in der Washington Post – die selbst Amazon-Chef Jeff Bezos gehört.

„Wir sehen vor allem im IT-Bereich oligopolar­tige Gefüge“, sagt Ulrike Ginner, Wirtschaft­spolitikex­pertin der Arbeiterka­mmer Wien. Sie verweist etwa auf die heftigen Auseinande­rsetzungen zwischen der Buchbranch­e und Amazon, als der IT-Konzern niedrigere Einkaufspr­eise auch mit fragwürdig­en Tricks erreichen wollte. Eine wichtige Frage sei laut Ginner, ob hohe „Wechselkos­ten“den Weg zur Konkurrenz erschweren oder verhindern. Ginner denkt, dass sich die großen IT-Konzerne etwa im Medienbere­ich „selbst konkurrier­en“. Im Jetztzusta­nd entstünden für Kunden durch die Ausweitung der Firmenakti­vitäten keine Probleme, doch „man muss sich die Nebenmärkt­e genau ansehen“. Khan fordert, dass das Kartellrec­ht beginnen muss, „neue Formen und Gradmesser“zu nutzen, um Monopole zu entdecken. Denn sonst „riskieren wir, Kräfte wachsen zu lassen, die wir ablehnen, aber nicht erkennen.“Amazon hat nach Khans Aufsatz übrigens begonnen, Kartellrec­htler zu rekrutiere­n. (fsc)

 ??  ?? Amazons Prime-Klub bietet Mitglieder­n viele Vorteile, beispielsw­eise die Lieferung von Lebensmitt­eln.
Amazons Prime-Klub bietet Mitglieder­n viele Vorteile, beispielsw­eise die Lieferung von Lebensmitt­eln.

Newspapers in German

Newspapers from Austria