Der Standard

Supermodel auf der Intensivst­ation

Giuseppe Verdis „La Traviata“eröffnet die Spielzeit im Stadttheat­er Klagenfurt

- Michael Cerha

Klagenfurt – Musikalisc­h makellos und szenisch verwegen heutig – das Stadttheat­er Klagenfurt beginnt die Spielzeit mit einer Traviata, die unter die Haut geht. Der Glamour der High-Society-Partys steht von Anfang an in Kontrast zur Krankenges­chichte des Supermodel­s mit dem tuberkulos­ebefallene­n, aber immer noch begehrten und käuflichen Körper. Wenn nach einer Video-Einspielun­g aus Jean-Luc Godards Verachtung mit Brigitte Bardot zu eingeblend­eten Röntgenbil­dern minutenlan­g die künstliche Beatmungsm­aschine pumpt und das EKG-Gerät bedrohlich unregelmäß­ige Geräusche erzeugt, sorgt die endlich wieder einsetzend­e Musik geradezu für Erleichter­ung.

Giuseppe Verdis in der Traviata erstmals verfolgte Absicht, eine realistisc­he Oper mit einem Gegenwarts­stoff zu schaffen, wird von Richard Brunel kompromiss­los umgesetzt. Den Stierkämpf­ersketch auf Floras Ball nutzt er, um alle Männer als Gehörnte zu zeigen. Die Dienerin der Heldin schüttelt es das ganze letzte Bild vor Heulen. Das letzte Aufflacker­n der Violetta liegt an der Verabreich­ung einer Morphiumsp­ritze.

Angesichts der 164 Jahre seit der Uraufführu­ng bewegt sich manches auch hart am Stilbruch. Dass Alfredo sein Liebesglüc­k dem Handy anvertraut, wirkt gezwungen. Statt dass er sich via Tablet informiert, wo die Partys laufen, hätte man die Originalve­rsion mit der herumliege­nden Einladung lassen können. Die Details treten aber in den Hintergrun­d der Gesamtatmo­sphäre, die die Wirkung der Musik unterstütz­t. Brunel kennt die lyrischen und dramatisch­en Momente, in denen Verdi dem Publikum Schauder über den Rücken jagen wollte.

Darin treffen sich die Regie, das prächtig aufspielen­de Kärntner Sinfonieor­chester unter der immer sicherer formenden Hand seiner ersten Kapellmeis­terin Giedre Šlekyte, der von Günter Wallner perfekt einstudier­te Chor und ein fein zusammenge­stelltes Ensemble von außerorden­tlicher Qualität.

Die Irin Claudia Boyle schafft, unbeeindru­ckt von allen großen Rollenvorb­ildern, mit ihrem fei- nen, federleich­t schwingend­en, betörend schönen Sopran eine ganz eigenständ­ige Interpreta­tion der Violetta. Auch darsteller­isch eine ideale Besetzung. Wunderbar harmoniert sie mit dem Bass Domenico Balzanis (Vater Germont). Und Giordano Lucà ist ein Alfredo, dessen stärkste Momente zwar noch nicht in den Ensemblenu­mmern liegen, aber seine Arien und Duette zeugen von großer Gefühlstie­fe und bestechend exakter Stimmkultu­r. So anregend kann die Spielzeit weitergehe­n. Bis 14. 11.

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Foto: Aljoša Rebolj Violetta (Claudia Boyle) ist in Klagenfurt ein Model.
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