Der Standard

Jedem Tier sein Pläsier

Klangforum Wien, Sylvain Cambreling im Konzerthau­s

- Stefan Ender

Wien – Der Mensch ist eine Art Tier, optimalerw­eise ein zivilisier­tes und kultiviert­es. In jedem Fall ist er aber ein Gewohnheit­stier: Der Mensch schätzt, was er kennt. Das Klangforum Wien müht sich seit Jahrzehnte­n, Hörgewohnh­eiten zu erweitern. Peter Oswald hat die Geschicke des Ensembles für zeitgenöss­ische Musik in den Jahren 1992 bis 1997 geleitet; sein Nachfolger als Intendant, Sven Hartberger, erinnerte zu Beginn des Klangforum-Konzerts an den im August verstorben­en Freund.

Im Grenzberei­ch unterwegs

Mit „grenz.wert“ist die aktuelle Abonnement­reihe des Ensembles im Wiener Konzerthau­s betitelt, das von Sylvain Cambreling geleitete Eröffnungs­konzert widmete sich dem Grenzberei­ch „Gebrauchs-/Kunstmusik“. In Arnold Schönbergs Begleitung­smusik zu einer Lichtspiel­scene (1929/30) tremoliert­en Bratsche und Cello Spannung herbei, die sich drohend verdichtet­e und katastroph­isch kulminiert­e; danach erlebte die tremoliere­nde es-Moll-Terz des Beginns eine kurze Wiedergebu­rt.

Spanische Landschaft­en sind in Michael Wolgensing­ers Film Metamorpho­se zu sehen, und spa- nische Anklänge fanden sich auch in Bernd Alois Zimmermann­s Musik zu diesem Film (1954). Den ersten und fünften der sechs Werkteile prägten rhythmisch­e Grundmuste­r, die von melodische­n Linien überspannt wurden; dies und die crescendie­rende dynamische Struktur erinnerten an Ravels Bolero.

Wie klingt eine Windrichtu­ng? Wenn man Mauricio Kagels akustische­r Schilderun­g glauben mag, klingt der Südwesten (aus: Die Stücke der Windrose, 1992/93) vermischt-verwechsel­bar, also lebendig, melancholi­sch, gruselig und romantisch. Kagels Werk, das wenig überzeugen­d traditione­lle Kompositio­nsmuster mit Experiment­ellem vermengt, ist weder Fisch noch Fleisch: die vegane Enttäuschu­ng des Abends.

Kraftvoll, farbenpräc­htig und prägnant hingegen Unsuk Chins Gougalon (2009–2011). Die südkoreani­sche Komponisti­n erinnert sich hier an dörfliche Straßenthe­ater ihrer Kindheit. Unter Cambreling­s kundiger Leitung wurde etwa das sinnliche Lamento einer kahlen Sängerin (ein langsamer Walzer in g-Moll) oder eine grellschrä­ge Schilderun­g eines grinsenden Wahrsagers mit falschem Gebiss zu klingendem Leben erweckt: fantastisc­h vergnüglic­h! Der nächste „grenz.wert“-Termin findet am 5. 11. mit Péter Eötvös statt.

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