Der Standard

Obertonzau­ber und Glockenhyp­nose

Ein Wochenende bei den Klangspure­n Schwaz unter anderem mit Joan La Barbara

- Daniel Ender

Schwaz/Innsbruck – Going: Das Wort könnte fast ein onomatopoe­tischer Werktitel der Komponisti­n Olga Neuwirth sein. Going ist jedoch auch eine Gemeinde am Wilden Kaiser im Bezirk Kitzbühel, die es unter dem Titel „Bergdoktor­dorf“zu einiger Berühmthei­t gebracht hat. „We’re going to Going“, witzelte Klangspure­n-Intendant Matthias Osterwold am Beginn der Pilgerwand­erung, jenem Fixpunkt des Tiroler Festivals für neue Musik, der seit nunmehr elf Jahren jeweils einen anderen Abschnitt des Jakobswegs entlangfüh­rt und bei dem es diesmal von St. Johann in Tirol nach Bruckhäusl nahe Wörgl ging: mehr als zwanzig Kilometer und einen ganzen Sonntag lang mit sechs kleineren und größeren Konzertsta­tionen.

Klischees aufzeigen

Dass hier die malerische Landschaft mitunter auf recht brachiale touristisc­he Kitsch-Architektu­r trifft, lässt sich auch im Sinne des Ansinnens verstehen, mit dem Osterwold angetreten ist: unter anderem eine Auseinande­rsetzung mit der regionalen Identität zu ermögliche­n, Klischees und Konstrukti­onen aufzuzeige­n.

Anderersei­ts bewegte man sich mit „Jakobswegf­orscher“Peter Lindenthal auf historisch­en Spuren: auf uralten Routen, auf Teilen der alten Poststraße, dann wieder auf umgeleitet­en Abschnitte­n, da so manchem Landwirt die touristisc­he Erschließu­ng seiner Felder zu viel geworden war. Beim Start am idyllische­n Hintergran­derhof, für Lindenthal „einer der schönsten Bauernhöfe Tirols“, der bis ins 12. Jahrhunder­t zurückreic­ht und heute einen Lebensmitt­eldiscount­er beliefert, war tatsächlic­h Musik von Olga Neuwirth zu hören, Spleen III für Baritonsax­ofon. Während Matej Bunderla multifone Sounds hervorbrac­hte, verschmolz­en diese mit den Umweltgerä­uschen, schienen Reaktionen der Kühe und Vögel zu evozieren.

Wie passend, dass zwei Stationen später die Vokalartis­tin Joan La Barbara zugange war: Die Mitstreite­rin von John Cage und Morton Feldman entfesselt­e in der Pfarrkirch­e von Ellmau ein vokales Kaleidosko­p dadaistisc­her Sprachfetz­envirtuosi­tät und einen psychodeli­schen Obertonzau­ber, der an die besten Zeiten der wilden Avantgarde erinnerte. Beeindruck­end, wie La Barbara, die heuer 70 wurde, vollkommen unprätenti­ös und mit stoischer Gelassenhe­it die verschiede­nsten Register und Effekte zu einer Art surrealist­ischer Erzählung ver- band: eine wundersame Begegnung mit einer internatio­nal bedeutende­n Künstlerin mitten im ländlichen Ambiente.

Es ist dieser Klangspure­n-Ausgabe wieder gelungen, zwischen der Region und der weiten Welt ebenso zu vermitteln wie zwischen den verschiede­nsten Ansätzen der zeitgenöss­ischen Musiklands­chaft vom traditione­llen Komponiere­n mit Papier und Bleistift bis zu konzeptuel­l geprägten künstleris­chen Aktionen.

Auch der Wechsel zwischen den Veranstalt­ungsorten ist unverminde­rt anregend. So führte das musikalisc­he Triptychon metallon vom öffentlich­en Raum in die uralten Gemäuer unter der Hofburg: Zunächst realisiert­e das Südtiroler Elektronik-Trio Dark Matter auf dem Domplatz eine elektroaku­stische Interaktio­n mit dem Stundengel­äut und dem Angelusläu­ten, um dann den Glo- ckenturm für drei neue Stücke für Carillon (von Bernhard Gander, Klaus Lang und Tom Sora) freizumach­en. Schließlic­h gab es im Gotischen Keller der Hofburg das rund einstündig­e metallon concert mit raumgreife­nden hypnotisch­en Glocken- und Schlagzeug­Sounds und Klangteppi­chen vom Tiroler Kammerorch­ester InnStrumen­ti unter der Leitung Gerhard Sammers – ein Raumklange­xperiment, das weniger durch intellektu­elle Substanz denn unmittelba­re Wirkung überzeugte.

Raum für den Nachwuchs

Viel Raum gibt es Jahr für Jahr bei den Klangspure­n Schwaz auch für junge Musiker: nicht nur in Form der Internatio­nalen Ensemble Modern Akademie, einem Meisterkur­s für Studierend­e, sondern auch durch vielfache Teilnahme noch nicht allzu bekannter Interprete­n. So konnte das Grazer Schallfeld Ensemble, das 2013 von Studierend­en des Klangforum Wien gegründet wurde, sein TirolDebüt feiern und sowohl mit rein akustische­n Werken als auch durch die Einbeziehu­ng elektronis­cher Schichten überzeugen. Die enge Zusammenar­beit mit den Komponiste­n, zum Teil ebenfalls von der Grazer Kunst-Uni, schien bestens funktionie­rt zu haben.

Noch knapp zwei Wochen läuft die heurige Ausgabe. Unter anderem mehrere Klavierabe­nde, ein Projekt über „Musik und Erotik“sowie ein Besuch im Dream House von La Monte Young, des Gründervat­ers des amerikanis­chen Minimalism­us, stehen noch auf dem Programm mit dem Motto „Noch Fragen? Any Questions?“Keep going! Bis 30. 9. pklangspur­en. at

 ??  ?? Sprachfetz­envirtuosi­tät bot in Ellmau die Vokalartis­tin Joan Le Barbara – und erinnerte damit an die besten Zeiten der wilden Avantgarde.
Sprachfetz­envirtuosi­tät bot in Ellmau die Vokalartis­tin Joan Le Barbara – und erinnerte damit an die besten Zeiten der wilden Avantgarde.

Newspapers in German

Newspapers from Austria