Der Standard

Die Unberechen­baren

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Die Macht der Angst prägt dieser Tage die Weltpoliti­k – und zu Recht. Samstagabe­nd konnte man in der von ORF III ausgestrah­lten, eindrucksv­ollen Doku-Serie über den Zweiten Weltkrieg wieder die erschütter­nden Bilder der Zerstörung­skraft der ersten militärisc­h eingesetzt­en und am 6. August 1945 von einem amerikanis­chen B-29-Bomber über Hiroshima abgeworfen­en Atombombe sehen. Die Ausstellun­gen über die Folgen der Brände und der Verstrahlu­ng hinterlass­en bei jedem Besucher dieser Stadt, so auch bei mir vor einigen Jahren am Rande einer Vortragsre­ise, unauslösch­licheW Eindrücke. er hätte es gedacht, dass zweiundsie­bzig Jahre später der von Größenwahn getriebene junge Diktator eines der ärmsten Länder mit seinen Raketenund Atomtests die Gefahr eines nuklearen Krieges mit den USA heraufbesc­hwören würde, mit unabsehbar­en Folgen für Korea, die Region und die ganze Welt? Kim Jong-un ließ sogar eine Wasserstof­fbombe detonieren, deren Zerstörung­skraft laut Experten die der Bombe von Hiroshima vielfach übertreffe­n könnte. Kim möchte das Überleben seines Regimes sichern und stillschwe­igende Anerkennun­g Nordkoreas erzwingen, lautet anscheinen­d die Annahme in Moskau, Peking und angeblich auch in Paris. Auch Angela Merkel sieht in Gesprächen mit Nordkorea den einzigen Ausweg aus der brandgefäh­rlichen Krise.

Leider dreht indes ein anderer unberechen­barer, wenn auch demokratis­ch legitimier­ter Staatspräs­ident weiter an der Eskalation­sspirale. Donald Trump hat umgehend in seiner Rede auf einem Militärstü­tzpunkt erneut mit einem „überwältig­enden“Schlag gegen Nordkorea gedroht. Die USA könnten mit ihren militärisc­hen Fähigkeite­n jeden Feind „zermalmen“. Niemand weiß freilich, ob Kim tatsächlic­h Angst vor einem amerikanis­chen Präventivs­chlag hat und deshalb sogar mit der Idee eines begrenzten Angriffs gegen den US-Militärstü­tzpunkt Guam spielen würde.

Der Auftritt des US-Präsidente­n und seine Gespräche mit zahlreiche­n führenden ausländisc­hen Staatsmänn­ern bei der UN-Generalver­sammlung diese Woche könnten vielleicht zur Abkühlung der Hysterie um die „militärisc­he Option“beitragen. Im Moment haben die EU-Staaten, vor allem im Norden, andere Sorgen als den irrsinnige­n atombegeis­terten Diktator in Pjöngjang. Die großen militärisc­hen Manöver, die Russland und Weißrussla­nd entlang der Nato-Ostgrenze veranstalt­en, beunruhige­n vor allem die kleinen baltischen Staaten, aber auch die UkraineD und Polen. ie deutsche Verteidigu­ngsministe­rin Ursula von der Leyen sprach von einer „Machtdemon­stration Russlands“und bezweifelt­e die Moskauer Angaben über die Teilnahme von 12.700 Soldaten. OSZE-Beobachter müssen nämlich erst bei Truppenübu­ngen mit mehr als 13.000 Soldaten eingeladen werden. Sie und NatoExpert­en sprechen von 70.000 bis 90.000 Soldaten bei diesen Großmanöve­rn. Es geht aber nicht nur um Zahlen, sondern um Ziele und Motive. Bei der Nato und vor allem in Litauen, Lettland und Estland gilt nämlich seit der Annexion der Krim und der Destabilis­ierung der Ukraine auch Wladimir Putin als einer der unberechen­baren Staatspräs­identen.

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