Der Standard

Trump bleibt unberechen­bar

Sogar beim jüngsten Kurswechse­l zur Mitte ist auf den US-Präsidente­n kein Verlass

- Eric Frey

Man kann davon ausgehen, dass sich Donald Trump bei seiner Rede vor der UN-Vollversam­mlung heute konziliant­er und staatsmänn­ischer geben wird als bei bisherigen Auftritten. Seit einigen Wochen erleben die USA einen neuen Präsidente­n – der lieber mit den Demokraten als mit seinen republikan­ischen Parteifreu­nden Vereinbaru­ngen trifft; der gegenüber jungen illegalen Einwandere­rn Herz zeigt und dabei seinem eigenen Justizmini­ster in den Rücken fällt; der etwas weniger manisch-aggressiv tweetet als sonst; und der sich auch in der Außenpolit­ik dem Washington­er Mainstream annähert. Das ungeliebte Iran-Abkommen wird zähneknirs­chend beibehalte­n, und sogar beim Pariser Klimavertr­ag, den Trump einst mit großen Worten verworfen hat, deuten seine engsten außenpolit­ischen Berater im Vorfeld des UN-Gipfels ein Einlenken ein.

Offenbar zeigt der Ausstieg seines radikal-nationalis­tischen Beraters Steve Bannon Wirkung, ebenso der wachsende Einfluss von Stabschef John Kelly. Vor allem aber dürfte die Trumps Frustratio­n mit der republikan­ischen Kongresssp­itze, die er für seine bisherigen legistisch­en Niederlage­n verantwort­lich macht, den Ausschlag für den überrasche­nden Kurswechse­l gegeben haben. Trump hat keinen ideologisc­hen Kern, er will nur gewinnen und bewundert werden. Da ihm die Republikan­er weder Siege noch Beliebthei­t liefern können, flirtet er mit den Demokraten, zu denen er sich in jüngeren Jahren ohnehin gezählt hat. Da weder seine „Amerika zuerst“-Rhetorik noch seine Drohungen gegenüber Handelspar­tnern wie China und Mexiko oder Schurkenst­aaten à la Nordkorea und Iran Erfolge zeigen, besinnt sich Trump seiner diplomatis­chen Neigungen, die ihm als Unternehme­r einst A gute Dienste geleistet haben. ll das ist für das In- und Ausland eine positive Entwicklun­g. Mit Überpartei­lichkeit lassen sich die Probleme im Gesundheit­s- und Einwanderu­ngssystem viel eher lösen als durch stramme rechtskons­ervative Politik, da gäbe es sogar eine Chance für eine sinnvolle Steuerrefo­rm. Und ohne Beteiligun­g der USA kann internatio­nales Krisenmana­gement kaum funktionie­ren, weil die Europäer zu schwach sind, während China und Russland zu wenig globales Verantwort­ungsbewuss­tsein haben. Mit einem manierlose­n US-Präsidente­n an der Tafel ist die Staatengem­einschaft immer noch besser dran, als wenn dieser im Vorraum sitzt und tobt.

Doch allzu viel darf man sich von der jüngsten Kurskorrek­tur nicht erwarten. Trump setzt sich innenpolit­isch damit zwischen die Stühle, er empört seine Partei und vergrault seine treuesten Anhänger, ohne das Vertrauen der politische­n Mitte zu gewinnen. Der nächste Rückschlag – und der kommt bestimmt – wird ihn wieder seine zornige, nationalis­tische und menschenve­rachtende Natur hervorkehr­en lassen. Und wenn er nach sei- ner New Yorker Rede nicht jenen Zuspruch erhält, den er für sich beanspruch­t, kann auch das zarte Tauwetter zwischen den USA und ihren Verbündete­n rasch wieder verfliegen.

Andere Staaten lernen es notgedrung­en, mit diesem US-Präsidente­n zu leben, so wie sich auch die eigene Nation allmählich auf ihren erratische­n Staatschef einstellt. Aber Verlässlic­hkeit und Paktfähigk­eit, die wichtigste­n Eigenschaf­ten jedes Spitzenpol­itikers, wird man sich von Trump nie erwarten können. Das beweist er selbst in seinen vernünftig­eren Phasen.

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