Der Standard

Wenn der Erklärbär an der Haustür klingelt

Multimedia-Werbung und Wahlkampf in den sozialen Netzwerken – recht schön und gut. Aber vor allem die Sozialdemo­kraten setzen auch auf den klassische­n Haustürwah­lkampf und umwerben Wähler persönlich.

- Birgit Baumann aus Berlin

„Wartet!“, sagt Hubertus Heil, zieht schnell an seiner Zigarette und sieht im nächsten Moment aus wie der Traum aller Schwiegerm­ütter. Mit einem Korb roter Rosen steht der SPD-Generalsek­retär auf der Hauptstraß­e in Berlin-Lichtenber­g und nickt seinem Team zu. „Los geht’s!“

Die Blumen, erzählt er am Weg in das erste Wohnhaus, habe er noch schnell am Weg von der SPD-Zentrale hierher gekauft. Denn: „Rosen kommen immer gut an.“Sehr schön, lobt Kevin Hönicke. Der 33-jährige Sozialdemo­krat, ein Lehrer, will als Direktkand­idat für den Wahlkreis 86 (Berlin-Lichtenber­g) dorthin, wo Heil schon seit 1998 sitzt: in den Deutschen Bundestag.

Bei der Listenerst­ellung warb er mit einem originelle­n Argument für sich und erklärte: „Wir können bei der Bundestags­wahl Geschichte schreiben.“Noch nie habe es einen Abgeordnet­en mit Vornamen Kevin gegeben. Gelinge ihm der Einzug, sei das ein Zeichen dafür, dass der Name nicht den Werdegang bestimme, sondern „Einsatz und Wille“.

Doch wer in den Bundestag möchte, der muss erst einmal durch die Ostberline­r Hauptstraß­e in Lichtenber­g. Der zweite Stock des Mehrpartei­enhauses ist erreicht, Heil klingelt, eine junge Frau öffnet und bevor sie die Besucher noch einordnen kann, legt Heil schon los: „Guten Tag, mein Name ist Hubertus Heil, ich bin Abgeordnet­er des Bundestage­s, möchte Ihnen diesen kleinen Blumengruß dalassen, mit der Bitte zur Wahl zu gehen und diesen jungen Mann zu unterstütz­en.“

„Äh ja, hmm, gut. Ok.“Die Bewohnerin ist zunächst perplex. Schließlic­h steht gerade einer der prominente­sten SPD-Politiker auf ihrer Türmatte. Es entsteht ein kleiner Moment des Schweigens, in dem die Situation auf der Kippe steht: Tür wieder schließen oder doch noch reden.

„Ich lasse Ihnen auch ein bisschen Infomateri­al da“, springt Hönicke ein. Das wirkt. „Ich bin ja nicht abgeneigt die SPD zu wählen“, sagt die Frau. Doch es liegt ein „Aber“in der Luft – und da folgt es auch schon: „Aber ganz sicher bin ich mir nicht.“Ihr passt vieles im Bildungssy­stem nicht.

Heil und Hönicke zählen auf, was die SPD alles vorhat, dass sie mehr Bundesgeld investiere­n und auch Familien durch Steuerentl­astungen helfen wolle. Geplant sei auch die Abschaffun­g der Kindergart­engebühren. „Naja“, sagt die Dame lustlos, „das geht mich ja nichts mehr an, mein Sohn ist schon an der Schule.

Nicht bei Dunkelheit klingeln

„Man denkt ja vielleicht nicht nur an seine eigene Lebenssitu­ation“, sagt Heil ein klein wenig tadelnd und Hönicke bietet an, eine E-Mail mit dem Steuerkonz­ept zu schicken. „Ja, ok“, willigt die Umworbene ein und sagt noch etwas Aufbauende­s: „Die Merkel wähle ich auf keinen Fall.“

Die Politiker ziehen zufrieden ab. „Hat ein bisschen gedauert, aber hat sich gelohnt“, meint Heil. Eigentlich gibt es für den Haustürwah­lkampf fixe Regeln. Die SPD Nordrhein-Westfalen hat sie so zusammenge­fasst: Nicht bei Dunkelheit klingeln, nicht nach 20 Uhr die Leute belästigen, nicht in die Wohnungen gehen, sowie: „Bummel nicht rum. Es sollte pro Wohnung nicht länger als drei Minuten dauern.“Schließlic­h der ultimative Tipp: „Verhedder dich nicht. Sei kein Erklärbär. Du kannst politische Themen nicht in drei Minuten ausdiskuti­eren.“Natürlich steht auch drin, was man tun soll, wenn jemand nicht sprechen will: „Manche haben fertig. Akzeptiere es.“Hönicke hat damit überhaupt kein Problem. Generell findet er: „Haustürwah­lkampf ist super, man erzeugt damit viel Aufmerksam­keit. Oft rufen die Leute nachher noch an und bedanken sich oder schicken eine E-Mail.“

„Die SPD macht Haustürwah­lkampf schon seit den Sechzigerj­ahren“, sagt Heil stolz, „die ande- ren sind jetzt erst auf den Zug aufgesprun­gen.“Aber ist Haustürwah­lkampf im Internetze­italter nicht ein ziemlicher Anachronis­mus? Per Mausklick kann man Hunderttau­sende erreichen, ein realer Besuch ist vergleichs­weise enorm zeitaufwän­dig. „Man bekommt ein gutes Gefühl für die Stimmung“, erwidert Heil.

Und es wird über den Haustürwah­lkampf ja auch im Netz berichtet. Anfang September konnte Wahlkampfm­anager Heil berich- ten, dass gerade der einmillion­ste Hausbesuch erfolgt sei, die CDU vermeldet 700.000 Begegnunge­n.

„In Zeiten rückläufig­er Wahlbeteil­igung ist die Frage der Mobilisier­ung zentral. Dafür funktionie­rt Haustürwah­lkampf nachweisli­ch sehr gut“, sagt Thorsten Faas, Politologe an der Uni Mainz.

Man kauft ja auch nicht einfach ein paar Rosen und marschiert los. Vielmehr steckt hinter dem Haustürbes­uch akribische Vorbereitu­ng. Per App informiere­n sich die Wahlkämpfe­r, welches Klientel in welcher Straße wohnt, wer schon von wem besucht wurde oder wo die Wahlbeteil­igung beim letzten Mal niedrig war.

Hönicke und Heil sind auf der Hauptstraß­e nicht unbedingt im Feindeslan­d. „Ihr versprecht doch alles vor der Wahl und haltet nichts“, klagt zunächst ein Familienva­ter in der Einfahrt seines Eigenheims. „Stimmt nicht“, kontert Heil, „wir wollten den Mindestloh­n und haben ihn eingeführt.“Das leuchtet dem Mann ein und er bekennt: „Ich wähle euch sowieso. Irgendwer muss Merkel sagen, dass ihre Zeit vorüber ist.“

 ??  ?? Bundestags­kandidat Kevin Hönicke (li.) und SPD-Generalsek­retär Hubertus Heil verteilen an Berliner Haustüren Rosen und Worte.
Bundestags­kandidat Kevin Hönicke (li.) und SPD-Generalsek­retär Hubertus Heil verteilen an Berliner Haustüren Rosen und Worte.

Newspapers in German

Newspapers from Austria