Der Standard

Ruf nach rascherer U-Haft für Gefährder

Nach den tödlichen Gewaltdeli­kten an Frauen fordern Gewaltschu­tzstellen und Männerbera­tung, zu Hause weggewiese­ne Männer häufiger in U-Haft zu nehmen. Laut Justizmini­sterium ist die Zahl der U-Haft-Nahmen bei derlei Delikten aber bereits verhältnis­mäßig h

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Wien – Die jüngsten Fälle häuslicher Gewalt und Tötungsdel­ikte (siehe Artikel unten) werfen die Frage auf, ob es im Gewaltschu­tzgesetz Verbesseru­ngen braucht. Sollen etwa Gefährder, die von zu Hause weggewiese­n wurden, schneller in U-Haft kommen?

Ja, meint Christian Scambor vom Grazer Verein für Männerund Geschlecht­erthemen (vulgo Männerbera­tung): „Wenn sich eine Gefährdung­ssituation verdichtet, sollte man Männer auch in U-Haft nehmen können.“Immerhin gebe es drei Gründe für die U-Haft: Verdunkelu­ngs-, Fluchtund Tatbegehun­gsgefahr – letztere bestehe oft, so der Psychologe.

Ja, sagt auch Rosa Logar, Geschäftsf­ührerin der Wiener Interventi­onsstelle gegen Gewalt, die bei Betretungs­verboten und Wegweisung­en wegen häuslicher Gewalt mit betroffene­n Frauen und Kindern arbeitet. Derzeit würden Täter selbst bei Verdacht auf massive Delikte – etwa schwere Körperverl­etzung, schwere Nötigung und fortgesetz­te Gewaltausü­bung – meist auf freiem Fuß angezeigt. Oft mit dem Argument, „es gibt ja ein Betretungs­verbot“.

Laut Tätigkeits­bericht der Wiener Interventi­onsstelle für 2016 kam es in diesem Jahr in Wien in 1830 Fällen häuslicher Gewalt, neben einem Betretungs­verbot wegen schwerer Delikte auch zu Anzeigen. Festnahmea­ufträge gab es in 110 Fällen. „Festnahmea­ufträge werden in derlei Fällen mit der entscheidu­ngsbefugte­n Staatsanwa­ltschaft telefonisc­h besprochen. Meist hat die Staatsanwa­ltschaft von der Polizei da noch nicht alle Unterlagen. Das ist unzureiche­nd“, sagt Logar. Polizei und Justiz müssten „enger und schneller zusammenar­beiten“.

Anleitung für Behörden

In Fällen häuslicher Gewalt werde schon jetzt öfter U-Haft ausgesproc­hen als im Schnitt aller Fälle, erwidert Christian Pilnacek, Leiter der Strafrecht­ssektion im Justizmini­sterium. Bei jährlich in Österreich insgesamt rund 200.000 Anzeigen wegen Delikten bei einem Strafrahme­n über ein Jahr komme es „in 1000 bis 1500 Fällen“zu U-Haft. Für bessere Kommunikat­ion zwischen Antigewalt­einrichtun­gen, Polizei und Staatsanwa­ltschaft soll in Fällen häuslicher Gewalt ab Mitte 2018 zudem eine „Handlungsa­nleitung für Staatsanwa­ltschaften“sorgen.

Eine langjährig­e Forderung der Männerbera­tung ist weiters, Gefährder proaktiv kontaktier­en zu können. Bisher sei man darauf angewiesen, dass „etwa die Polizei dem Mann rät, uns aufzusuche­n, aber wir kommen von selbst aus Datenschut­zgründen nicht an ihn heran“, sagt Scambor. Nur wenn schon etwas passiert ist, kann die Staatsanwa­ltschaft zum Aufsuchen einer Beratung drängen oder das Gericht ihn per Verurteilu­ng oder Weisung dazu zwingen.

Im Fall der getöteten Afghanin, in dem der Bruder geständig ist, bewohnte die 14-Jährige – wie derzeit rund 120 Kinder und Jugendlich­e in Wien – ein Krisenzent­rum, das Schutz bieten sollte. Monika Mandl, Sprecherin der MA 11, sagt, dass man nun Abläufe evaluiere. Es sei aber „auch Teil unserer Arbeit, mit dem Risiko leben zu müssen, dass wir nicht immer vor Ort sind und nicht alles voraussehe­n können“. Eine unabhängig­e, überregion­ale Forschungs­stelle, die ein „intensives Monitoring“über die Einhal- tung der Kinderrech­te betreibt, fordert zudem Kinder- und Jugendanwä­ltin Monika Pinterits.

Oft erfolgt im Gesundheit­ssystem der Erstkontak­t zu Gewaltopfe­rn. Pflegepers­onal und Ärzte seien aber oft überforder­t oder könnten nicht immer Gewalt als Ursache für Verletzung­en erkennen. Künftig sollen betreffend­e Berufsgrup­pen in der Ausbildung für Gewalterke­nnung und den Umgang mit Betroffene­n geschult werden. Gesundheit­s- und Frauenmini­sterin Pamela Rendi-Wagner (SPÖ) präsentier­te am Dienstag Lehrmodule, die ab Winterseme­ster 2019/20 für die Pflege- und Ärzteausbi­ldung angedacht sind. (bri, burg, cms, spri)

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Nach tödlichen Fällen wie dem Mord an einer 14-Jährigen in Wien-Favoriten stellt sich die Frage, wie Frauen und Kinder besser gegen Gewalt geschützt werden können.

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