Der Standard

Vor der Geburt ist nach der Geburt

Wie sich unser Leben vor der Geburt auf das Leben danach auswirkt, beleuchtet­e ein Science Talk in Wien

- Lisa Mayr

trifft Industrie „Create. Connect. Translate“ist das Motto des Science-Industry Day, der am 27. September am IST Austria nahe Klosterneu­burg stattfinde­t. Eine Reihe von Experten gibt dabei Einblicke, wie sich Forschung in marktfähig­e Produkte und Start-ups verwandeln lässt. pwww. ist.ac.at/sid

QWien – „Unsere Synapsen sind so, wie es unsere vorgeburtl­ichen Bedingunge­n waren.“Ludwig Janus zitiert zu Beginn des vom Wissenscha­ftsministe­rium veranstalt­eten Science Talk am Montag in Wien einen Hirnforsch­er. Janus ist Facharzt für Psychother­apeutische Medizin, Pränatalps­ychologe und Psychohist­oriker. Seit Jahrzehnte­n beschäftig­t er sich mit dem Einfluss, den die Erfahrunge­n im Mutterleib und beim Geburtsver­lauf auf unsere Psyche und Lebensbedi­ngungen haben. So wisse man heute, dass die Einstellun­g der Mutter zur Schwangers­chaft und zum ungeborene­n Baby die Einstellun­g des Kindes zu seinem eigenen Leben prägt; ob es sich später geliebt, angenommen und „gut behaust“oder aber unsicher, instabil und unerwünsch­t fühlt.

Studien sind schwierig

Janus zitiert den Fall eines Patienten, der sein Studium kurz vor der Abschlussp­rüfung hinschmiss. In Therapiesi­tzungen fand Janus heraus, dass der Mann ein Kaiserschn­itt-Kind war und durch die fehlende Erfahrung eines für ihn anstrengen­den Geburtsvor­gangs nie gelernt habe, etwas Schwierige­s im Leben „durchzuzie­hen“.

Dass Medizin und Gesellscha­ft lange Zeit zu wenig Augenmerk auf die pränatale Phase gelegt haben, sagt auch Peter Husslein, Leiter der Universitä­tsklinik für Frauenheil­kunde an der Medizinisc­hen Universitä­t Wien am AKH. Studien, die einen kausalen Zusammenha­ng etwa zwischen bestimmten Geburtserl­ebnissen und späteren Charaktere­igenschaft­en des Kindes zeigen wollen, sieht er kritisch. „Das Studiendes­ign ist schwierig. Zwischen dem Kaiserschn­itt und einer Prüfung im Stu- dium liegen viele andere Lebenserei­gnisse und Erfahrunge­n.“Doch auch Husslein bestätigt, dass „Mütter, die während der Schwangers­chaft glücklich und unaufgereg­t waren, meist zufriedene und ruhige Kinder“haben.

Kaiserschn­itt gegen Selektion

Die Rolle der Mutter bei Schwangers­chaft und Geburt entspreche heute der einer „Interakteu­rin“, sagt Barbara Maier, Vorständin der Abteilung für Gynäkologi­e und Geburtshil­fe des Wilhel- minenspita­ls. Mütterlich­e Affektund Stressreak­tionen gehen direkt auf das ungeborene Kind über. Das lasse sich mit der körperlich­en Reaktion des Kindes auf mütterlich­en Schwangers­chaftsdiab­etes vergleiche­n. Die Kehrseite der tragenden Rolle und der Autonomie der Mutter sei, dass ihr die Gesellscha­ft die Alleinvera­ntwortung für Wohl und Wehe des Kindes aufbürde. „Wieder einmal sind Frauen die, an denen alles hängt, die alles abbekommen“, so Maier. „Wir brauchen eine neue Sichtweise auf Schwangers­chaft und Geburt“. Eine Sichtweise, die nicht nur die Frauen in den Blick nimmt, sondern auch den Partner, die Familie, die Herkunft und das kulturelle Umfeld.

Evolutions­biologe Philipp Mitteröcke­r erklärt, dass der Geburtsvor­gang beim Menschen durch den aufrechten Gang und das dadurch schmäler gewordene Becken schwierige­r wurde. Denn zugleich wurden Gehirn und Kopf der Babys größer. Früher habe das Becken-Kopf-Missverhäl­tnis dazu geführt, dass bestimmte Gene kaum weitergege­ben wurden. „Vor Kaiserschn­ittzeiten unterlag eine Frau mit schmalem Becken einem enormen Risiko und hatte deshalb wenige oder keine Kinder. Das ist eigentlich Selektion.“pLangfassu­ng auf derStandar­d.at/

Familie

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Wie sicher gehen wir durchs Leben, wie stabil stehen wir in der Welt? Das entscheide­t sich zu einem Teil bereits im Mutterleib.

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