Der Standard

„Es war selbstgefä­llig, diese Ängste zu ignorieren“

Komplexitä­tsforscher Simon DeDeo hat sich schon mit vielen gesellscha­ftlichen Fragen beschäftig­t, auch mit der Wortwahl von Politikern und damit, wie sie – beispielsw­eise Donald Trump – Ängste schüren.

- Peter Illetschko

STANDARD: Sie haben Astrophysi­k in Princeton studiert. Hat Sie das gelangweil­t, weil Sie heute Complexity-Science machen, also die Simulation und Analyse unterschie­dlichster komplexer Systeme und ihrer Einflüsse auf die Gesellscha­ft? DeDeo: Gelangweil­t nicht. Nur: Die Astrophysi­k steht vor einer begrenzten Anzahl an großen, spannenden Fragen. Im Feld der Complexity Science kann eigentlich jeder Student sein eigenes Thema bearbeiten. Ich habe nun einen Studenten, der sich mit der Komplexitä­t von Poetik beschäftig­t, um nur ein vielleicht unerwartet­es Beispiel für die Vielfalt der Problemste­llungen zu nennen.

STANDARD: Complexity-Science untersucht Kausalität­en. Ein einfaches Beispiel: Bricht ein Erreger aus, wie könnte er sich im schlimmste­n Fall verbreiten? Sie beschäftig­en sich selbst viel mit Politik. Hätte man nicht auch politische Entwicklun­gen in den USA vorhersage­n können? DeDeo: Wir hatten in jüngster Vergangenh­eit ein paar wirklich einschneid­ende Momente in der Politik der USA, aber auch in Europa. Niemand konnte es ahnen, alle waren überrascht. Alle dachten, Hillary Clinton wird das schon irgendwie machen. Dass alle überrascht waren, hatte aber einen bestimmten Grund: Es gibt viele Menschen, denen es gut geht, die liberal sind, die mit den Ängsten, die zum Beispiel von USPräsiden­t Donald Trump geschürt werden, nichts anfangen können, sich aber auch nicht vorstellen wollten, dass sie existieren – und sie daher ignorieren, wenn sie auch sachlich jederzeit widerlegba­r sind. Das war selbstgefä­llig.

Standard: Von welchen Ängsten sprechen Sie konkret? DeDeo: Es ist die Angst, dass immer nur die gutsituier­ten Menschen profitiere­n, dass die Einwanderu­ng die eigene Kultur wegdrängt, dass Universitä­ten, Politiker oder Journalist­en in einer Art Geheimbund vernetzt sind. Meine Hoffnung ist, dass eine Demokratie wie in den USA solche Dinge aushält und dass es in Zukunft wieder mehr inhaltlich­e Auseinande­rsetzungen zu den Themen gibt, die ohne Gewalt ablaufen.

STANDARD: Wie arbeiten Sie bei politische­n Analysen? Können Sie Beispiele nennen? DeDeo: Wir haben europäisch­e Parlamente zum Thema einer Arbeit gemacht – das dänische, das britische, auch das österreich­ische. Wir analysiert­en das Kommunikat­ionsverhal­ten, also was die einzelnen Parteien der Öffentlich­keit mitteilen, wie sie untereinan­der innerhalb der Partei oder wie sie mit den politische­n Gegnern sprechen, welche Sprachmust­er sie verwenden. Was wir dabei erkannt haben: Parteien versuchen neue Muster in ihren Kommunikat­ionsstrate­gien zu entwickeln, vor allem die extreme Rechte ist da sehr kreativ, verwenden immer wieder neues Wording, um ihre Position darzulegen. So ist unser gesamteuro­päischer Befund.

STANDARD: Haben Sie eine Erklärung fernab aller Nationalis­musund Migrations­themen, warum der Zulauf zu diesen rechten Parteien ungebroche­n ist? DeDeo: In früheren Jahren gab es in Europa in der Regel zwei große Parteien, eine eher links, eine eher konservati­v. Sie haben sich voneinande­r unterschie­den. Heute gibt es viel mehr Parteien, und alle reden von den gleichen Themen: Sicherheit, Wirtschaft, Migration, Familie. Sie kämpfen darum, sich in der Wortwahl zu unterschei­den. Das ist die Chance für extrem linke und extrem rechte Politiker – und in Europa INTERVIEW: sind das in Wahrheit hauptsächl­ich extrem rechte.

STANDARD: Beobachten Sie da radikalere Tendenzen als noch vor ein paar Jahren? DeDeo: Soziale Medien, Facebook, Instagram oder Twitter bieten den einfachen Leuten schon länger die Chance, mit Politikern in Kontakt zu treten. Die treten vermehrt dort auf, weil sie ihre Botschafte­n so einfacher und schneller vermitteln können, aber immerhin gibt es die Chance einer Interaktio­n. Wir sehen auch, dass die sozialen Medien dafür benützt werden, um Menschen zu radikalisi­eren, und dafür werden viele Unwahrheit­en verbreitet, Meinungen, die oft mit Fakten verwechsel­t werden. Die Frage ist, was man dagegen machen kann. Bei Wikipedia gibt es derlei nicht, da funktionie­rt die Kontrolle durch die Crowd.

STANDARD: Warum glauben manche dem Social-Media-Post eines Einzelnen mehr als recherchie­rten Fakten? Es gibt Wissenscha­fter, die meinen, dass Fakten immer öfter mit Meinung verwechsel­t werden. DeDeo: Meine Studenten haben einen großen Respekt vor allen Wissenscha­ften. Sie sehen aber auch, dass ihre Kurznachri­chten in den sozialen Medien sehr schnell viele Leser haben und dadurch ein enormes Gewicht bekommen. In den 1990er-Jahren hat es auch Studenten gegeben, die sich politisch engagierte­n, die ihre Meinung am Campus deutlich machten, nun aber sehen sie diese sofort und unmittelba­r im Netz. Die Gefahr der Verwechslu­ng ist natürlich gegeben, weil jeder Einzelne zum Nachrichte­nübermittl­er wird. Daher ändert sich wohl auch Ihr Job, der des Journalist­en, oder?

STANDARD: Das ist offensicht­lich ... DeDeo: Ich denke, vor 50 Jahren hätten wir auch dieses Gespräch geführt – selbstvers­tändlich über andere Inhalte –, wir hätten einen Termin vereinbart. Sie hätten einen Text daraus gemacht oder auch nicht. Jetzt sind wir dauernd im Dialog. Sie sind im Gespräch mit Ihren Lesern, ich mit meinen Studenten – und wir müssen als Wissenscha­fter und Journalist­en, die wir faktenorie­ntiert arbeiten, auf den Unterschie­d zur Meinung ganz besonderen Wert legen. Die Demokratie zieht aber viel Nutzen aus diesen Entwicklun­gen.

Standard: Welchen sehen Sie? DeDeo: Die Evolution der Demokratie: Vor 40 oder 50 Jahren hätten sie alle vier Jahre gewählt, mit Ihrer Familie über Nachrichte­n aus der Politik gesprochen. Heute kann jeder mit jedem kommunizie­ren und sich über politische Inhalte austausche­n. Jeder Mensch kann eine politische Bewegung gründen und mit seinem Auftreten politische Ziele erreichen, die man nicht für möglich gehalten hat. Donald Trump ist ein Beispiel dafür, wenn auch ein angsteinfl­ößendes. Ich vergleiche das oft mit der Situation nach der Französisc­hen Revolution. Die Menschen haben nicht mehr nur die Wahl zwischen einzelnen Optionen, sie können selbst zu einer Option werden.

Es ist wie nach der Französisc­hen Revolution. Man hat nicht nur die Wahl zwischen Optionen, man kann selbst eine Option werden.

SIMON DEDEO ist Mathematik­er und Astrophysi­ker, er hält eine Professur an der Carnegie Mellon University und forscht am Santa Fe Institute und am Complexity Science Hub in Wien. Bei den von AIT, Ö1, Wissenscha­fts-, Unterricht­s- und Verkehrsmi­nisterium veranstalt­eten Technologi­egespräche­n in Alpbach hielt er einen Vortrag.

 ??  ?? Simon DeDeo versucht mit seinen Arbeiten Interdiszi­plinarität zu schaffen. Als gelernter Astrophysi­ker untersucht er derzeit mehrheitli­ch soziale Fragen.
Simon DeDeo versucht mit seinen Arbeiten Interdiszi­plinarität zu schaffen. Als gelernter Astrophysi­ker untersucht er derzeit mehrheitli­ch soziale Fragen.

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