Der Standard

Krankheite­n aufspüren, bevor sie ausbrechen

Bioinforma­tiker suchen Marker für Krankheite­n im Blut – zunächst bei Tieren

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Graz/Calgary – Jedes Jahr, wenn die Kühe nach dem Sommer in die Ställe zurückkehr­en, passiert etwas, was auch in jedem Kindergart­en vorkommt, sobald wieder viele Kinder einen Raum miteinande­r teilen: Sie werden krank. „Bei Rindern sind das vor allem Lungenkran­kheiten, die zu großen Verlusten führen können“, sagt Christoph Sensen, tätig an der TU Graz sowie an der Universitä­t Calgary in Kanada. „Wir versuchen, Marker zu entwickeln, anhand derer wir die Tiere schon separieren können, bevor sie andere infizieren.“

Sensen ist Bioinforma­tiker mit einem Hang zur Viehwirtsc­haft. In Kanada, wo er mehr als 20 Jahre lang forschte, war er an einem Großprojek­t beteiligt, mit dem die Regierung BSE-Fälle bekämpfen wollte. „Wir entwickelt­en BSEMarker, die im Blutserum schon zehn Monate vor den ersten klinischen Anzeichen detektiert werden konnten“, schildert Sensen. „Weil aber niemand das Risiko eingehen wollte, dass viele kranke Tiere entdeckt werden, was enorme Exportbesc­hränkungen zur Folge gehabt hätte, haben wir keine Abnehmer für den Test gefunden.“

Sensen ist dem Thema treu geblieben – bloß konzentrie­rt er sich auf die Vorhersage weniger bri- santer chronische­r Tierkrankh­eiten. Normalerwe­ise beruhen Tests für die Diagnose von Infektions­krankheite­n darauf, Krankheits­erreger aufzuspüre­n. Die Methode, mit der Sensen und sein Team arbeiten, setzt jedoch früher an: Es gilt, kleinste DNA-Moleküle zu finden, die schon lange, bevor man Erreger nachweisen kann, im Blut darauf Hinweise geben, dass eine Krankheit im Anmarsch ist.

„Der Körper ist die ganze Zeit im Umbau. Egal, ob wir eine Tasse Kaffee trinken oder erkältet sind – der Körper baut Zellen auf und ab, um den Normalzust­and zu erhalten. Dabei werden DNA-Moleküle in den Blutstrom abgeschied­en“, erklärt Sensen. „Bei bestimmten chronische­n Krankheite­n werden dabei Moleküle, die normalerwe­ise inaktiv sind und nur zur Verteidigu­ng gebraucht werden, ins Blut abgegeben.“

Diese zirkuliere­nden Nukleinsäu­ren können auf eine Sepsis genauso wie auf einen Tumor hindeuten. Mithilfe tausender Blutproben aus Biobanken versuchen die Forscher in Zusammenar­beit mit dem Austrian Center for Industrial Biotechnol­ogy (acib) und der österreich­isch-kanadische­n Firma CNA Dia- gnostics, DNA-Moleküle zu identifizi­eren, die nicht nur über eine im Körper schlummern­de Krankheit, sondern auch über deren Stadium Auskunft geben. In einem weiteren länderüber­greifenden Projekt wird ein neues Testverfah­ren entwickelt, mit dem Moleküle in Sekundensc­hnelle im Serum nachgewies­en werden sollen.

Solche Tests könnten nicht nur Tieren, sondern auch Menschen helfen. Demnächst will Sensens Team etwa Marker für Präeklamps­ie finden. Durch diese Schwangers­chaftserkr­ankung kann es zu einem Sauerstoff­mangel bei den ungeborene­n Babys kommen. Doch das ist nicht alles: „Langfristi­ges Ziel ist ein Panel für einen Routinetes­t, mit dem mithilfe einer kleinen Blutprobe rund 50 chronische Krankheite­n, also auch Krebs oder Alzheimer, im Frühstadiu­m entdeckt werden könnten“, sagt Sensen. Das derzeit größte Hindernis: die hohen Kosten für die DNA-Sequenzier­ungen, die nötig sind, um den Code für die jeweilige Krankheit zu finden. (kri) Christoph Sensen ist einer der Sprecher bei den Austrian-Canadian Science and Innovation Days, die das Wissenscha­ftsministe­rium am 21. und 22. 9. in Wien veranstalt­et.

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Foto: TU Graz Christoph Sensen: von Calgary zurück nach Graz.

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