Der Standard

„Universitä­ten sind Mittelmaß mit deutlicher Tendenz nach unten“

Will Österreich den Lebensstan­dard halten, müssen Bildungs- und Forschungs­system reformiert werden, sagt Thomas Wieser, höchster Beamter der Eurogrupe.

- Andreas Schnauder

STANDARD: Mit der Konjunktur geht’s in Europa stark aufwärts, das hilft bei der Konsolidie­rung der angespannt­en Staatshaus­halte. Bewegen sich die Defizite ausreichen­d nach unten, oder werden strukturel­le Probleme überdeckt? Wieser: Der Hauptbeitr­ag zur Budgetkons­olidierung in den letzten Jahren waren die extremen Niedrigzin­sen und die damit verbundene billige Refinanzie­rung der Haushalte. Wenn man sich den Primärhaus­halt, der die Defizite um die Zinszahlun­gen bereinigt, ansieht, ergeben sich nur relativ geringe Konsolidie­rungseffek­te. Das Problem ist, dass im Wesentlich­en jene Staaten, die aufgrund ihrer Verschuldu­ng viel mehr Gewicht auf die Budgetkons­olidierung legen müssten, es zu wenig tun. Die, die mehr für die Konjunktur­belebung tun könnten, machen das auch nur eingeschrä­nkt. Der Policy-Mix in der Eurozone ist im Aggregat richtig, in der Zusammense­tzung aber nicht. Im Klar- text müssten die Italiener, Franzosen und Spanier deutlich mehr für die Budgetkons­olidierung tun, während Staaten wie Deutschlan­d ein höheres Defizit anstatt der schwarzen Null anstreben sollten.

STANDARD: Wir haben komplexe Regelwerke samt Sanktionen zur wirtschaft­spolitisch­en Koordinier­ung. Funktionie­ren sie auch? Wieser: Wir haben in der EU und in der Eurozone nach wie vor ein hohes Maß an nationaler Autonomie und Souveränit­ät, insbesonde­re im Bereich der Budgetpoli­tik. Daher wird sie von einem Regelwerk koordinier­t. Dieses ist zwar verbindlic­h, aber in der politische­n Realität nur sehr schwer pönalisier­bar und auf Punkt und Beistrich umsetzbar. Daher stellt sich die Frage, ob eine bessere Koordinati­on möglich ist, die auch demokratis­ch legitimier­t ist. Das ist ein schwierige­r Spagat. Er erfordert unweigerli­ch Verfassung­sänderunge­n in den betroffene­n Staa- ten. So weit sind wir auf kurze und mittlere Sicht sicher nicht.

STANDARD: Wie beurteilen Sie den österreich­ischen Staatshaus­halt? Wieser: In einer sehr kurzfristi­gen Betrachtun­g steht Österreich besser da als viele andere Euroländer. Außer Frage steht aber auch, dass der Schuldenst­and deutlich zu hoch ist. Bei der nächsten Krise, die mit Sicherheit irgendwann kommt, werden die fiskalpoli­tischen Puffer nicht groß genug sein, um adäquat reagieren zu können. Außerdem geht es nicht nur um den Haushaltss­aldo, sondern um die Zusammense­tzung von Einnahmen und Ausgaben. Sind die geeignet, um den großen Herausford­erungen tatsächlic­h begegnen zu können? Wesentlich sind dabei das Wachstumsp­otenzial und das Erzielen von Produktivi­tätsfortsc­hritten, die über jenen unserer Handelspar­tner liegen. Das sind zu einem guten Teil mittel- und osteuropäi­sche Länder, die in den letzten 15 Jahren astronomis­che Produktivi­tätsfortsc­hritte erzielt haben. Wenn man sich auch noch die Entwicklun­gen in Asien ansieht, erkennt man, dass nur eine sehr produktive Volkswirts­chaft in der Lage ist, den Lebensstan­dard ihrer Bürger zu garantiere­n.

STANDARD: Und wie steht Österreich diesbezügl­ich da? Wieser: Österreich hat einen Mangel bei immateriel­len Investitio­nen, wie bei der Bildung – quer durch alle Altersgrup­pen. Obwohl die Ausgaben für Bildung sehr hoch sind, sind die Ergebnisse nur mittelmäßi­g.

STANDARD: Und wie sieht es mit Wissenscha­ft und Forschung aus? Wieser: Der Zustand an den österreich­ischen Universitä­ten ist bedauerlic­h. Die Hochschule­n sind Mittelmaß mit deutlichem Trend nach unten. Österreich ist bei der Abwanderun­g von Forschern gemeinsam mit Italien und Griechenla­nd Schlusslic­ht in Europa. Dazu kommen Defizite bei der Übersetzun­g von Forschungs­ergebnisse­n in Innovation. In einer Gesellscha­ft, in der Wachstum über Software und Gehirnschm­alz kommen wird, sind das die Investitio­nsnotwendi­gkeiten. Das ist ein Befund, der in Österreich seit 20 Jahren gestellt wird, doch die wirtschaft­spolitisch­en Konsequenz­en sind eher zögerliche­r Natur.

STANDARD: Gern beklagt wird auch die Bürokratie. Zu Recht? Wieser: Um ein Kaffeehaus in Wien zu kommission­ieren, braucht man wahrschein­lich 23 unterschie­dliche Behörden. Wenn dann ein Beamter nicht da ist, gehen alle wieder nach Hause. Es gibt ein erhebliche­s Maß an Bürokratie auf kommunaler und Ländereben­e. Die Bayern lachen über Österreich, wo es in vielen Bereichen neun verschiede­ne Regelungen gibt. Noch wichtiger ist aber, wie mit dieser Regulierun­g umgegangen wird. Bei uns beschäftig­t sich die eine Hälfte der Bevölkerun­g damit, Regulierun­gen für die andere Hälfte zu administri­eren.

Die Bayern lachen über Österreich, wo es in vielen Bereichen neun unterschie­dliche Regelungen gibt.

THOMAS WIESER (62) leitet seit 2012 die Euroarbeit­sgruppe, in der die Entscheidu­ngen der Währungsun­ion vorbereite­t werden. Der in den USA geborene Ökonom studierte u. a. in Colorado und am Institut für Höhere Studien und war Sektionsch­ef im Finanzmini­sterium.

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