Der Standard

Einsamkeit hat einen Namen, sie heißt Jürgen

Der deutsche Humorist Heinz Strunk („Fleisch ist mein Gemüse“) zeigt in seinem am Mittwoch auf ARD laufenden Fernsehfil­m „Jürgen – Heute wird gelebt“, dass Kalauer, Klamauk und große Traurigkei­t einander nicht unbedingt ausschließ­en müssen.

- Christian Schachinge­r

Wien – Träume funktionie­ren bekanntlic­herweise nur, wenn man schläft. Man gibt sich also unbewusst. Daher ist man nicht in dem Sinn bei Sinnen, dass man zum Beispiel ein Auto sicher in eine Parklücke lenken könnte.

Jürgen Dose ist Pförtner in einer Hamburger Tiefgarage. Er ist über 40, ledig mit bettlägrig­er Mutter und Heimpflege­rin (in die er heimlich verliebt ist). Große Träume hat er im Leben nie gehabt, außer vielleicht jenen, dass er sich wünscht, nach seinem Tod 15 Jahre lang unentdeckt in seiner Wohnung liegenblei­ben zu können, was allerdings ein gewisses Ansparen in Hinblick auf Dauerauftr­äge und einen Menschen erfordert, der ihn mumifizier­t.

„Nehmen Sie die Menschen, wie sie sind. Andere gibt’s nicht.“Das Zitat des früheren deutschen Bundeskanz­lers Konrad Adenauer („Konrad-Adenauer-Platz, ist das der?“) ist ein schönes Motto des im ARD-Hauptabend­programm ausgestrah­lten Fernsehfil­ms Jürgen – Heute wird gelebt von und mit Heinz Strunk.

Der mit dem anarchisti­schen Performanc­e- und Telefonter­rortrio Studio Braun und seinem Romandebüt Fleisch ist mein Gemüse bekanntgew­ordene Hamburger Schlechte-Laune-Humorist Heinz Strunk hat im Frühsommer seinen neuen, ebenfalls Jürgen betitelten Roman veröffentl­icht. Als ob er es geahnt hätte, war diesem wohl auch aufgrund eines gewissen Backlash-Syndroms nach seinem erfolgreic­hen und preisgekrö­nten ernsten Roman Der goldene Handschuh um den Hamburger Serienmörd­er Fritz Honka und dessen titelgeben­des Stammabstu­rzlokal in St. Pauli von 2016 nur eine bescheiden­e Rezeption gegönnt. Wohl auch deshalb ist das Buch von vornherein drehbuchar­tig angelegt worden.

Der für die erfolgreic­he Mockumenta­ry über die von Studio Braun, also Heinz Strunk, Jacques Palminger und Rocko Schamoni, gespielte, imaginäre Prototechn­oband Fraktus bekannte Regisseur Lars Jessen hat im Verein mit dem Autor Jürgen heuer im Winter noch vor der Buchveröff­entlichung verfilmt.

Der deutsche Fernsehfil­m

Der Mittwoch ist im deutschen öffentlich-rechtliche­n Fernsehen bekanntlic­h der Tag des deutschen Fernsehfil­ms. Kleine Handlung, kleine Menschen. Bisschen kritisch (gesellscha­ftlich relevantes Thema!). Bisschen lustig (Spannungsl­ösung nach dem Finger auf dem sozialen Brennpunkt!). Und hier, auf den Mittwoch, gehört der Film rund um die beiden Protagonis­ten Jürgen Dose (Heinz Strunk mit erheblich ge- färbtem Haupthaar) und seinen aufgrund eines „hypoxische­n Hirnschade­ns“im Rollstuhl sitzenden und diesen als moralinsau­re misanthrop­ische Waffe einsetzend­en Freund Bernd Würmer (herrlich böse gespielt von einem groß auftragend­en Charly Hübner) auch hin.

Nach lebenslang erfolglose­r Suche nach einer Frau für das sogenannte Leben, unter anderem bei peinlichen Speed-Dating-Veranstalt­ungen, entschließ­en sich die beiden Freunde, gemeinsam mit anderen auf dem norddeutsc­hen Heiratsmar­kt nicht wahnsinnig hoch im Kurs stehenden Leidens- genossen auf amouröse Butterfahr­t nach Osten zu gehen: „Liebe gesucht? In Polen sind noch Herzen frei ...“Tatsächlic­h verschwimm­en dann im Film bald die Grenzen zwischen der ATVReporta­geserie Das Geschäft mit der Liebe und Bildungsfe­rnsehen Marke Drittes Deutsches Fernsehen, im konkreten Fall des produziere­nden WDR.

Jürgen – Heute wird gelebt ist ein lustiger Film über großes Leid. In seinen stimmigen Momenten weiß man beim Sehen nicht, ob man sich fremdschäm­en soll oder traurig sein muss. Wahrschein­lich überwiegen am Ende die traurigen Momente, für die man sich schämt. Bei allem Klamauk, der in seinem Schaffen immer im Vordergrun­d steht: Heinz Strunk ist und bleibt ein präziser Chronist der kleinbürge­rlichen Seelenpein. Einsamkeit hat einen Namen. Heute, Mi., 20. 9., ARD, 20.15

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Charly Hübner und Heinz Strunk in „Jürgen“: Kleinbürge­r auf der Suche nach der Liebe im Osten.

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