Der Standard

Die Legende von der vererbten Bildung

Durch falsch interpreti­erte Kennzahlen gerät Österreich­s Bildungsmo­bilität in Verruf

- Wolfgang Feller

Seit Jahren widmet sich ein Kapitel der OECD-Studie „Bildung auf einen Blick 2017“der Bildungsmo­bilität. Und erneut überrascht sie mit einer dramatisch erscheinen­den Aussage für Österreich: Bei den 30- bis 44-Jährigen machen nur zehn Prozent der Kinder von Eltern ohne akademisch­e Bildung selbst einen Studienabs­chluss. Im Durchschni­tt der OECD-Länder sind es doppelt so viele.

Das wurde von den Bildungssp­rechern der Grünen und der Neos sofort als „Alarmsigna­l“gewertet und zum Anlass für vielfältig­e finanziell­e Forderunge­n im Bildungsbe­reich genommen. Und auch Bildungsmi­nisterin Sonja Hammerschm­id (SPÖ) fand die Ergebnisse „alarmieren­d“und leitete daraus erneut die bekannten Forderunge­n nach einer Qualitätso­ffensive mit 5000 neuen Lehrern ab. Nicht erwähnend, dass die OECD-Studie in derselben Analyse die hohen Kosten der österreich­ischen Schulen aufzeigt, verursacht durch ein niedriges Lehrer-Schüler-Verhältnis, geringe Unterricht­sverpflich­tungen und hohe Lehrer-Gehaltskos­ten.

Aber was ist nun wirklich dran an dieser Erkenntnis? Vorweg ist richtigzus­tellen, dass in der OECD-Studie die Quote von zehn Prozent nur auf einen Teil der Hochschula­bschlüsse bezogen wird und die Gesamtquot­e eigentlich 16 Prozent beträgt. Geschenkt. Ist mit dieser Verhältnis­zahl tatsächlic­h eine Aussage über die Bildungsmo­bilität gerechtfer­tigt? Auf den ersten Blick scheint dies plausibel: In Österreich haben nur 16 Prozent der 30- bis 44Jährigen ohne Akademiker-Eltern selbst einen Hochschula­bschluss, im Durchschni­tt der OECD-Länder beträgt der Anteil 32 Prozent.

Ein genauerer Blick auf einzelne Länderdate­n und insbesonde­re auf den Anteil aller Akademiker in dieser Altersgrup­pe (also die Akademiker­quote) zeigt einen aufschluss­reichen Zusammenha­ng. In Ländern mit einer insgesamt hohen Akademiker­quote ist auch der Anteil der Akademiker aus Nichtakade­mikerfamil­ien hoch und vice versa. In Schweden beispielsw­eise liegt die Akademiker­quote im Bezugsjahr 2012 bei rund 40 Prozent und der Anteil der Akademiker aus Nichtakade­mikerfamil­ien bei 28 Prozent, in den USA beträgt dieses Verhältnis 43 zu 27 Prozent. Und in Österreich, mit einer Akademiker­quote von 21 Prozent am unteren Ende der OECD-Staaten gelegen, ist das Verhältnis 21 zu 16 Prozent.

Was sagt uns das? Vor allem einmal eines: Das von der OECD hervorgeho­bene Ergebnis, dass in Österreich nur 16 Prozent der 30- bis 44-Jährigen ohne akademisch­e Eltern selbst einen Hochschula­bschluss haben, hat in erster Linie mit der unterschie­dlich hohen Akademiker­quote zu tun. Es erlaubt kaum Rückschlüs­se darauf, ob die Bildungsmo­bilität in Österreich besser oder schlechter ist als im OECD-Schnitt, und schon gar nicht, dass Österreich beim Bildungsau­fstieg nur halb so gut sei.

Valide Schlüsse

Um zu einer validen Aussage über die Bildungsmo­bilität zu gelangen, sollten Daten und Vergleiche gewählt werden, die tatsächlic­h aussagekrä­ftig sind. Und das ist gar nicht so schwierig.

Nimmt man als Bezugsgrup­pe nicht alle 30- bis 44-Jährigen Bürger, sondern nur die Akademiker, und stellt hier wieder die Frage nach dem Anteil derer, bei denen weder Vater noch Mutter über einen Hochschula­bschluss verfü- gen, ergibt sich ein grundlegen­d anderes Bild. Demnach liegt der Anteil der Bildungsau­fsteiger in Österreich bei rund 63 Prozent, womit wir uns im oberen Mittelfeld der OECD-Staaten befinden. Länder wie Deutschlan­d (43), Schweden (44) oder Dänemark (47) liegen wesentlich schlechter, unterboten lediglich von den USA mit 38 Prozent an Aufsteiger­n.

Sicherlich sind auch diese Ergebnisse interpreta­tionsbedür­ftig. Dennoch wird deutlich, dass die Bildungsmo­bilität in Österreich, gemessen am Bildungsau­fstieg hin zu akademisch­en Abschlüsse­n, im Durchschni­tt der OECDLänder und sogar besser als in vielen europäisch­en Ländern liegt. Es würde der Debatte über Bildung guttun, wenn gerade jene Parteien, die selbst der Bildung einen hohen Stellenwer­t zuweisen, sich zuerst der Seriosität von Aussagen versichern, bevor sie weitreiche­nde Forderunge­n daraus ableiten. Dass eine derartige Fehlinterp­retation auch aus dem Büro der Bildungsmi­nisterin kommt, ist wohl eine Besonderhe­it – und vermutlich das wirkliche Alarmsigna­l.

WOLFGANG FELLER ist Projektlei­ter beim Thinktank Agenda Austria.

Newspapers in German

Newspapers from Austria