Der Standard

Warum Gewaltschu­tz versagt

Wegweisung­en allein lösen keine Konflikte, präzise Risikoeins­chätzung ist gefragt

- Irene Brickner

Ein Mann wird nach schweren Gewalttate­n an seiner Frau von dieser für sechs Monate aus der gemeinsame­n Wohnung weggewiese­n. Eines Nachts kehrt er zurück und ermordet seine Gattin und seine zwei Töchter. Dann tötet er sich selbst, Tage davor war er, scheinbar kooperativ, in der Täterberat­ung gesessen.

Ein Bursch, 18 Jahre alt, passt seine Schwester auf der Straße ab. Mit einem Messer sticht er auf sie ein. Die 14-Jährige stirbt. In der Woche davor war sie nach häuslichen Konflikten in eine Krisenunte­rkunft gezogen. Angst vor einem Angriff habe sie nicht geäußert, heißt es dort.

Wie kommt es zu derlei Wahnsinnst­aten im Abstand von nur zwei Tagen? Warum hatte im Vorfeld offenbar niemand die akute Gefahr erkannt? Wie ist zu erklären, dass beide Verbrechen im Migrantenm­ilieu geschahen, im ersten Fall unter türkischen, im zweiten unter afghanisch­en Einwandere­rn – wie Abschottun­gsbefürwor­ter in den sozialen Medien frenetisch wiederhole­n? So lauten jetzt die vielfach gestellten Fragen.

Die Antworten darauf weisen auf Schwachpun­kte in einem System hin, das mit viel Ehrgeiz angetreten ist, um die Schwächere­n – in einer patriarcha­len Gesellscha­ft sind das allermeist die Frauen und Kinder – vor Gewalt in ihrem persönlich­em Umfeld zu bewahren. In der Familie und der Beziehung, wo Stabilität und Geborgenhe­it vermittelt werden, die aber auch Orte brutalster Macht- und Gewaltausü­bung sind: eine Erkenntnis, die der feministis­chen Bewegung zu verdanken ist, die im Zuge des derzeitige­n Rechtsruck­sT scheel betrachtet wird. atsächlich war – und ist – das seit 1997 in Österreich geltende Gewaltschu­tzgesetz ein großer Wurf. Das dahinterst­ehende Konzept, dass nicht die Opfer häuslicher Gewalt, sondern die Täter den Wohnort zu verlassen haben – also weggewiese­n werden –, wurde zum rechts- und sozialpoli­tischen Exportarti­kel in eine Reihe anderer Staaten.

Doch eine Wegweisung kann eine innerfamil­iäre Gewaltspir­ale nur unterbrech­en, kann sie nicht beenden. Das geht nur durch Verhaltens­änderungen, die wiederum eine Einstellun­gsänderung bei Täter und Opfer voraussetz­t. Bis es dazu kommt, müssen die Opfer beschützt werden. Das sind die Herausford­erungen, bei denen das System zum Teil versagt – denen also mit zusätzlich­en Maßnahmen begegnet werden sollte.

Ratsam wäre es etwa, dass Methoden der Risikoeins­chätzung häuslicher Gewalttäte­r wie der in den USA entwickelt­e Danger-Assessment-Fragenkata­log in allen hochgefähr­lichen Fällen zum Einsatz kommen. Bisher geschieht das in Österreich nicht flächendec­kend. Erfragt wird dabei etwa das Ausmaß des vom Gewalttäte­r bisher an den Tag gelegten Besitzdenk­ens gegenüber Frau, Kind und anderen Familienan­gehörigen. Auf diese Art, so Rosa Logar von der Wiener Interven- tionsstell­e, könnten auch potenziell gefährlich­e Vorstellun­gen von Familieneh­re unter Migranten rechtzeiti­g erkannt werden.

Ernsthaft geprüft sollte aber auch werden, ob das Mittel der Untersuchu­ngshaft in hochgefähr­lichen Fällen tatsächlic­h zu zaghaft angewandt wird, wie Frauenbera­terinnen kritisiere­n. Zwar weist man das im Justizmini­sterium zurück und betont, dass eine Festnahme den Dreifachmo­rd vor wenigen Tagen nicht verhindert hätte. Doch vom Einzelfall abgesehen: In etlichen anderen Fällen hätte man so das Schlimmste abwenden können.

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